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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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nur zweimal falschem Abbiegen. Ich hätte mich auf dem Riesengelände heillos verlaufen. Auf der Station musste ich erst mal durch die Kontrolle, während Nele ungeduldig wartete, dass die Pflegerin endlich mit mir fertig war. Dann führte sie mich in den Aufenthaltsraum. Ich habe schon schönere Zimmer gesehen.
    »Kaffee?« Nele wartete meine Antwort nicht ab, ging an eine Art Theke und schenkte mir hastig eine Tasse ein.
    Dann verschwand sie in einem Flur und kam mit einer hübschen jungen Frau zurück, die mich verlegen ansah.
    »Das ist die Katja, Sylvie«, stellte sie mich vor. Wir setzten uns. Sylvie hatte ihre eigene Tasse und einen Aschenbecher mitgebracht. In einer Ecke lief der Fernseher, ein paar Jungs an einem der Nachbartische spielten Poker. Ich bot Zigaretten an, Nele gab uns allen Feuer, dann saßen wir uns schweigend gegenüber.
    »Komm!« Nele sah Sylvie ermutigend an. Die wiederum kurz mich ansah und dann den Blick senkte.
    »Also, ich …« Zug an der Zigarette. Tränen in den Augen.
    »Soll ich erzählen?«, bot Nele an.
    Sylvie nickte erleichtert.
    »Also, die Sylvie hat ‘n Jungen, ne.« Nele musterte ihre Dürener Freundin prüfend, dann redete sie weiter. »Der ist fünf.«
    Sylvies Kopf sank Richtung Tischplatte.
    »Und der war dann mal krank. Also ist die Sylvie mit dem zum Arzt. Ja? Und nach dem Arztbesuch war der Kleine irgendwie durch ‘n Wind. Ne?«
    Sylvie nickte.
    Nele sah mich vielsagend an. »Und wie der dann wieder so krank war, da hat der gesagt, er will da nicht mehr hin, zu dem Arzt. Und da hat die Sylvie den gefragt, was da eigentlich abgegangen ist. Weil sie bei der Untersuchung nicht dabei sein durfte.«
    »Das ist aber ungewöhnlich«, platzte ich heraus.
    Sylvie sank noch mehr in sich zusammen. »Ich fand’s auch komisch«, flüsterte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Aber ich war ja wieder drauf. Und ich hab mir gedacht, wenn der mich nur kurz sieht, dann merkt der das nicht. Weil, der hätte ja sonst das Jugendamt verständigt. Oder so. Ne?«
    »Und deshalb hast du ihn gar nicht erst gefragt, warum du bei der Untersuchung nicht dabei sein darfst?«
    Sie nickte. Inzwischen rannen ihr die Tränen über die Wangen. Ich kramte ein Tempotuch aus der Jeanstasche und reichte es ihr. Sie schnäuzte sich. »’tschuldigung.«
    Nele strich ihr über das Haar und murmelte etwas Besänftigendes. Ich ahnte, worauf das alles hinauslief, und wollte es eigentlich gar nicht hören.
    »Und was hat er mit deinem Kleinen gemacht?«
    Sie schluchzte auf. »Er hat ihm …« Sie verstummte wieder.
    »Er hat ihm seinen Schwanz in den Mund gesteckt, der Drecksack«, sagte Nele an ihrer Stelle.
    Sylvie legte den Kopf auf den Tisch und weinte nun hemmungslos. Ein paar Leute sahen zu uns her.
    »Alles klar bei euch?«, fragte ein junger Türke, der uns schon die ganze Zeit über im Auge gehabt hatte.
    »Alles klar, Kerim«, beschied ihn Nele freundlich. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. »Der ist okay«, meinte sie nur.
    Plötzlich richtete sich Sylvie wieder auf. »Haste noch ‘n Tempo?«
    Ich gab es ihr.
    »Haste auch noch ‘ne Kippe?« Jetzt musste sie unwillkürlich grinsen.
    Ich legte meine Schachtel auf den Tisch. »Hier, könnt ihr behalten.« Sylvies andere Kippe, die im Aschenbecher vor sich hin schwelte, machte ich aus.
    Sie bemerkte es gar nicht. Steckte sich die neue an und sagte dann heiser: »Er hat ihm gedroht, wenn er mir was erzählt, dann geht er zum Jugendamt und sagt denen, dass ich wieder drauf bin. Und dann kommt er ins Heim.« Sie warf wütend die Haare zurück. »Überleg mal! Genau deswegen bin ich doch nicht mit reingegangen! Damit das nicht passiert! Und das Schwein hat das voll gecheckt!« Sie starrte mich an, immer noch außer sich über die bittere Erkenntnis.
    Ich erklärte ihr, ich würde Tina Gruber zu ihr schicken. Damit sie eine Aussage machen könnte.
    »Das ist die, von der ich dir gesagt hab, die ist okay«, warf Nele ein.
    »Aber dann nehmen die mir den Kleinen weg!«
    »Glaub ich nicht«, widersprach ich auf gut Glück. »Du machst ja jetzt Entgiftung. Wo ist denn der Kleine jetzt?«
    »Bei meiner Ma.«
    »Und geht’s ihm da gut?«
    Sie zuckte die Schultern. »Ja, da war der ja schon ‘n paarmal.«
    Ich fragte Nele, wo hier die Sozialarbeiterin saß. Sie ging mit mir zu ihrem Büro. Ich klopfte und öffnete die Tür. Die Frau telefonierte gerade und winkte mich hinaus. Ich blieb stur stehen.
    »Warten Sie bitte draußen!«,
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