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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium
Autoren: Gmeiner-Verlag
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die er im Falle der Niederlage gegenüber seinen Mandanten zu bemühen pflegte: ›… bedauern wir, dass wir trotz unnachgiebigen Einsatzes und unter Ausschöpfung sämtlicher rechtlicher Möglichkeiten für Sie kein günstigeres Ergebnis erzielen konnten.‹ Es folgte die den Fall beschließende Kostennote.
     
    Knobel stand auf, nahm die Akte und ging ins Erdgeschoss hinunter. Er ging an Zimmer 102 vorbei, das bis Ende letzten Monats seines gewesen war. Er hatte es Ende Mai geräumt, um dem jungen Kollegen Mahlerwein Platz zu machen, der zu Beginn des zweiten Quartals in den Sozienstand erhoben worden war und sich seitdem darin übte, seine unmännlich piepsende Stimme häufiger zum Dröhnen zu bringen. Als Sozius lernte er das Befehlen. Löffke, sein Lehrmeister, saß gegenüber, Zimmer 104.
     
    Der Rivale saß über eine Akte gebeugt und sah unwillig auf, als Stephan eintrat.
    »Und da war wirklich nicht mehr drin?« Stephan hielt den Ordner wie eine Monstranz in die Höhe. Löffkes Gesicht zuckte unmerklich.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Rosell litt unter Gewichtsverlust, als er das erste Mal zu Hobbeling ging. Hätte man dafür nicht Zeugen benennen können?«
    »Ein wahrer Schlaumeier, unser Knobel!« Löffkes Gesicht entspannte sich wieder.
    »Ja, lieber Knobel, hätte man. Seine Frau Julita, übrigens eine attraktive Spanierin, hätte gewiss bestätigen können, dass ihr Mann ständig Gewicht verlor. Und wissen Sie was: Sie hat mir gegenüber sogar versichert, dass es so war. Aber wissen wir deswegen, dass Rosell tatsächlich bei seinem Arztbesuch etwas davon gesagt hat? Nein! Rosell war damals zum ersten Mal bei Hobbeling. Sie kannten sich also nicht. Wenn Rosell weniger wog als sonst, konnte der Arzt also nicht von sich aus darauf kommen. Abgesehen davon war Rosell, wie seine Frau sagt, auch in guten Zeiten stets ein hagerer Typ. Von ihr weiß ich auch, dass Justus Rosell ein ausgesprochener Angsthase war, wenn es um Ärzte ging. Sie war es, die ihn immer wieder dazu gedrängt hatte, endlich zum Arzt zu gehen, weil er Gewicht verlor und unter Übelkeit litt. Aber wissen wir deswegen, was er dort wirklich gesagt hat? Vielleicht hat er tatsächlich nur verharmlosend von gelegentlichem Durchfall gesprochen, wie es Hobbeling behauptet hat. Ich glaube dem Arzt sogar. Denn nach dem Arztbesuch hat Rosell seiner Frau erzählt, sie solle sich keine Gedanken machen. Er solle nur etwas Vernünftiges essen. Hobbeling ist Facharzt für Innere Medizin. Er kann nicht so blöd sein, deutliche Hinweise auf eine Krebserkrankung zu verkennen. Vielleicht war auf dem ersten Röntgenbild wirklich nichts zu sehen. Vielleicht hat Rosell selbst es verschwinden lassen, nachdem er verstand, dass er damit keinen Beweis würde führen können. Ich will das nicht ausschließen. Von Rosells Frau weiß ich auch, dass er bis zu seinem zweiten Besuch bei Hobbeling, als die fatale Diagnose gestellt wurde, zwischenzeitlich keinen Arzt aufgesucht hatte, obwohl er immer wieder über Beschwerden klagte. Seine Frau hat ihn förmlich bekniet, endlich etwas zu unternehmen. Aber er tat es nicht. Er hasst Ärzte. Und er machte auch nach der grauenhaften Diagnose nichts. Er bekommt auf dieser Grundlage weiterhin Medikamente, aber lässt sich nicht weiter behandeln. Wozu auch? Ich kann das verstehen. Oder wollten Sie noch in den letzten Monaten Ihres Lebens mit medizinischen Geräten traktiert werden, Knobel?«
    Löffke wartete lauernd, genoss Stephans Unbehagen, der sich in die Lage des Mandanten versetzte und zu spüren begann, worum es Rosell zu gehen schien: Er suchte einen Schuldigen für das unabwendbare Schicksal, richtete seine Verzweiflung über die unbeantwortet bleibende Frage nach dem Warum gegen denjenigen, den er verantwortlich sehen wollte.
    Löffke erahnte Stephans Gedanken.
    »Seien Sie milde mit ihm! Er ist ein armer Wicht. Ich glaube einfach, dass Sie ein bisschen seine Seele streicheln müssen. Er wird wissen, dass es kaum Chancen gibt, das Verfahren gegen Hobbeling erfolgreich wieder zu eröffnen. Wichtig ist, dass er nicht mit seinem Schicksal allein ist.«
    Löffke formulierte weich und salbungsvoll. Er hatte sich zurückgelehnt, die Hände über den Bauch gefaltet und gab sich väterlich fürsorglich. Stephan dachte nach. Löffke wusste, dass es sich nicht um ein ernsthaftes Mandat handelte. Es ging darum, das zu tun, was für einen armen Wicht wichtig erschien. Wicht und wichtig – wie albern war das?
    »Und das spätere
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