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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ja fast unser gemeinsamer Fall. Ich habe Rosell schon mitgeteilt, dass Sie sich selbstständig machen. – Das war doch richtig, oder?« Er sah Stephan durchdringend an. »Täusche ich mich oder war da ein Flackern in Ihren Augen, Knobel?«
    Löffke lachte auf. »Nun zieren Sie sich nicht. Es ist doch ein interessanter Fall …«
    »Woran liegt es, dass ich Ihnen nie glauben kann?«, fragte Knobel. Er überlegte nicht lange. »Legen Sie die Akte auf den Tisch!«
    »Na also!« Löffkes Gesichtszüge entspannten sich weiter. Er reichte Stephan die Akte.
    »So ein Büro wie 307 ist nichts für Sie, Knobel. Das wissen Sie!«
    Als er ging, zog er die Tür hart hinter sich zu.
    »Hier oben klemmt alles«, hörte er Löffke von außen rufen.

2
    Knobel blätterte flüchtig durch die Akte. Der Vorgang war seit eineinhalb Jahren abgeschlossen. Löffke hatte die Akte aus dem im Keller befindlichen Archiv geholt. Der Ordner roch muffig, einige Seiten pappten bereits aneinander. Die Feuchtigkeit im Keller hinterließ Spuren. Knobel sichtete die vorgerichtliche Korrespondenz und las Löffkes Aufforderungsschreiben an Hobbeling.
    ›… haben Sie es versäumt, aus der vor rund neun Monaten gefertigten Röntgenaufnahme der Thoraxorgane die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf dieser Aufnahme hätte nämlich – so auch die übereinstimmenden Aussagen hinzugezogener weiterer Spezialisten – ein malignes Geschehen im Thoraxbereich entdeckt werden müssen. Hinzu kommt, dass Sie angesichts der von unserem Mandanten vorgetragenen Beschwerden, nämlich allgemeines Unwohlsein, unklare Gewichtsabnahme, eine chronisch obstruktive Bronchitis und Unterbauchbeschwerden, eine engmaschige Kontrolle hätten veranlassen müssen. Stattdessen haben Sie Herrn Rosell geraten, sich übermäßiger sportlicher Betätigung zu enthalten, seinen Nikotingenuss einzustellen und nur noch hochwertige Nahrung zu sich zu nehmen. Im Vertrauen auf die Richtigkeit Ihrer Empfehlungen nahm Herr Rosell von weiteren ärztlichen Untersuchungen Abstand. Während seines alljährlichen Spanienaufenthaltes trat zunächst scheinbar eine leichte Besserung ein. Nach plötzlicher Verschlimmerung der geschilderten Symptome wurde er ein dreiviertel Jahr später bei Ihnen erneut vorstellig. Sie fertigten ein neues Röntgenbild und darüber hinaus – nunmehr viel zu spät – eine Spiral-CT von Thorax und Abdomen an. Hierdurch wurde eine zirka drei Zentimeter große hypodense Raumforderung im linken Lungenoberlappen rechts als Hinweis auf ein Bronchialneoplasma festgestellt. Dies führte letztlich zur Diagnose eines großzelligen undifferenzierten Bronchialkarzinoms im Tumorstadium cT4, cNX, cM1. Es wurde Inoperabilität festgestellt, weshalb nur noch eine palliative, onkologische Behandlung empfohlen werden konnte.‹
    Stephan überflog die nächsten Zeilen. Abschließend folgte Löffkes übliche, barsche und befehlende Aufforderung:
    ›… haben Sie es grob fehlerhaft versäumt, … sind Sie verpflichtet, an unseren Mandanten ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 Euro zu zahlen, … behalte ich mir eine Erhöhung der Schmerzensgeldforderung vor, … werde ich nach fruchtlosem Verstreichen der von mir gesetzten Zahlungsfrist ohne weitere Ankündigung klagen … Hochachtungsvoll.‹
    Hobbeling hatte sich von Dr. Schreiber, einem älteren Anwalt aus dem Dortmunder Osten vertreten lassen. Er verteidigte sich gegen Rosells Forderung und bedauerte einleitend, dass die schlimme Diagnose gestellt worden sei. Aber in der Sache blieb Dr. Schreiber hart. Die an Rosell bereits übersandte erste Röntgenaufnahme könne beweisen, dass man seinerzeit keine Veranlassung zur weitergehenden Untersuchung gehabt habe. Herr Rosell habe ihn auch nur deswegen aufgesucht, weil er gelegentlich an Durchfall leide, der aber nahe liegender Weise durch die ungesunde Ernährung verursacht sei. Rosell habe weitere Symptome verschwiegen, die auf eine ernsthafte Erkrankung hätten schließen lassen.
     
    Das anschließende gerichtliche Verfahren brachte nichts Neues. Es blieb unstreitig, dass Rosell lebensbedrohlich erkrankt war und nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nur noch eine sehr begrenzte Zeit zu leben hatte. Der Umstand, dass das spätere Ausmaß des Tumors dessen frühere Erkennbarkeit nahe legte, reichte für den Justus Rosell obliegenden Beweis nicht aus, dass Hobbeling schuldhaft einen Behandlungsfehler begangen hatte.
     
    Die Akte schloss mit Löffkes bekannter Floskel,
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