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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium
Autoren: Gmeiner-Verlag
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müssten Sie noch eine Übergangszeit benötigen, um neue Räume zu finden. Es gibt überall günstig Büroraum zu mieten, sogar hier im Dortmunder Gerichtsviertel. Nein, Sie wollen in Wirklichkeit bleiben, Knobel! Aber Sie möchten, dass man Sie bittet, hier zu bleiben. Es war doch Balsam für Ihre geschundene Seele, als Ihnen unser verehrter Senior gestattete, einstweilen von hier Ihre Geschäfte zu führen. Aber hat jemand gesagt, dass Sie auf Dauer bleiben sollen?«
    Löffke hatte sich behäbig vor Knobels Schreibtisch aufgebaut. So kannte Stephan den Rivalen, wenn er spürte, Oberwasser zu bekommen. Und sein Instinkt täuschte nicht.
    »Jetzt ziehen Sie erstmal mit ihrem Mariechen zusammen«, fuhr Löffke betont milde fort. »Auch das ist ja was Neues für Sie. Nach der Scheidung also auch hier ein Neubeginn. Aber ich für mich bin glücklich, lieber Knobel, dass ich nicht so viel Neues an der Backe habe. Aufstrebende Kontinuität ist doch etwas anderes als eine Neuauflage des Sisyphus, oder?« Er grinste hämisch.
    »Jetzt sagen Sie endlich, weshalb Sie hier sind«, bellte Stephan.
    »Na also«, lobte Löffke. »Sie lernen ja richtig sprechen.« Er nahm eine Akte in die Hand, die er bis jetzt unter seinen Arm geklemmt hatte.
    »Rosell gegen Hobbeling, erinnern Sie sich?« Löffke sah fragend auf.
    »Ein abgeschlossener Prozess, soweit ich weiß«, erwiderte Stephan. »Sie hatten damals den Mandanten Rosell gegen den Internisten Hobbeling vertreten. Dem Arzt wurde vorgeworfen, eine Krebserkrankung seines Patienten Rosell nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Sie haben den Arzt auf Schadenersatz verklagt. Wenn ich nicht irre, hat er seine Praxis in Unna.«
    »Richtig«, bestätigte Löffke. »Was noch?«
    »Ihre Klage wurde abgewiesen«, ergänzte Stephan mit ironischem Unterton.
    »Nun ja«, nickte Löffke. »Wir konnten nicht beweisen, dass Justus Rosell zum Zeitpunkt der fraglichen Untersuchung durch Hobbeling die Symptome hatte, die der Arzt als Anzeichen der Krebserkrankung hätte erkennen können und erkennen müssen. Wir konnten also nicht beweisen, dass der Arzt eine aus damaliger Sicht notwendige Behandlung unterlassen hat. Ergo: Kein Nachweis des Kunstfehlers. Also kein Sieg und kein Geld für den Mandanten.«
    »Es ging um viel Geld …«, warf Knobel ein.
    »Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 Euro als Teilklage. Und den üblichen anderen Schadenersatz noch obendrauf«, antwortete Löffke.
    »Mutig, wenn man nichts beweisen kann«, entgegnete Stephan zynisch.
    »Normalerweise ja«, gab Löffke zu. »Aber der Mandant wollte es so. Er wollte, wie er es nannte, ein Signal setzen.«
    »Ging es nicht um ein verschwundenes Röntgenbild?«
    »Gutes Gedächtnis«, staunte Löffke. »Obwohl der Prozess jetzt schon eineinhalb Jahre her ist. – Ja, es drehte sich letztlich um ein verschwundenes Röntgenbild. Der Mandant behauptete, er sei etwa neun Monate, bevor der Arzt bei ihm unheilbares Bronchialkarzinom feststellte, schon einmal bei ihm zur Untersuchung gewesen. Und auch damals hätte Hobbeling eine Röntgenaufnahme gemacht. Aber diese frühe Aufnahme konnte nicht vorgelegt werden. Der Arzt behauptete, sie nicht mehr zu haben. Er hätte sie auf Anforderung seines Patienten, also Rosell, an diesen verschickt. Aber sie kam nie bei Rosell an.«
    »Was natürlich eine Schutzbehauptung ist …«, vermutete Stephan.
    Löffke hob unschlüssig die Schultern.
    »Wer weiß? Es fehlte eben das Röntgenbild, mit dem man hätte nachweisen können, dass zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung der Tumor bereits erkennbar und zu diesem Zeitpunkt wohl auch noch heilbar war. Also gab es vor Gericht eine Klatsche.«
    »Und der Mandant wollte bei dieser Sachlage trotzdem klagen?«, fragte Stephan. Er lächelte. »Es ging um hohe Gebühren, Löffke. Da klagt man gern drauf los, nicht wahr? Ich kenne Sie doch, Löffke!«
    »Ja, ja, polieren Sie wieder Ihr Berufsethos, Knobel! Aber Sie irren sich. Rosell wollte diesen Prozess trotz des hohen Risikos, und er ist sogar noch weiter gegangen: Er hatte den Fall an die Presse gegeben. Die Zeitungen berichteten damals ausführlich darüber. Deshalb gab es nachfolgend eine Verleumdungsklage des Arztes gegen unseren Mandanten. Die Berichterstattung über den Fall hatte dazu geführt, dass dem Arzt scharenweise Patienten verloren gingen. Immerhin war klar, dass es bei dieser Erkrankung wissenschaftlich sehr nahe lag, dass bei der ersten Untersuchung der Tumor hätte erkannt werden
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