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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Autoren: John le Carré
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Entschieden nicht die von Emily. Viel zu schwer.
    Sie haben sie in ihrer Gewalt, und jetzt holen sie mich!
    Aber die Schritte gehörten doch Emily: Emily mit ihrem stetigen, zielgerichteten Klinikgang. Bis sie in Sicht kam, hatte er sich allerdings schon von seinem Stuhl hochgestemmt und hangelte sich den Tisch entlang Richtung Küchenschublade, um sich ein Tranchiermesser zu greifen. Dann sah er sie auf der Schwelle stehen, kopfschüttelnd, in der Hand ein verschnürtes braunes Päckchen.
    »Wer war das?«
    »Weiß ich nicht. Er sagte, du wüsstest schon, worum es geht.«
    »Verdammt!«
    Er riss ihr das Päckchen weg, drehte sich – in dem zwecklosen Bestreben, sie im Falle einer Explosion abzuschirmen – mit dem Rücken zu ihr und unterzog das Paket einer fieberhaften Untersuchung auf Sprengzünder, Zeitschalter, Nägel oder was immer sonst sie zur Verstärkung der Wirkung noch hineingetan haben mochten, ganz ähnlich, wie er Kits nächtlichen Brief untersucht hatte, aber mit einem erhöhten Gefühl der Gefahr.
    Doch alles, was langwieriges Abtasten ergab, waren ein Packen Papiere und eine Heftklammer.
    »Wie sah er aus?«, wollte er atemlos wissen.
    »Klein. Gut gekleidet.«
    »Alter?«
    »Um die sechzig.«
    »Sag mir, was er gesagt hat. Die genauen Worte.«
    »›Ich habe hier ein Päckchen für meinen Freund und ehemaligen Kollegen Toby Bell.‹ Und ob er sich womöglich in der Adresse geirrt hätte.«
    »Ich brauche ein Messer.«
    Sie gab ihm das Messer, zu dem er unterwegs gewesen war, und er schlitzte das Päckchen seitlich auf, genau wie Kits Umschlag, und entnahm ihm die verwischte Fotokopie einer Foreign-Office-Akte, die durch schwarze, weiße und rote Aufkleber als Verschlusssache gekennzeichnet war. Er klappte sie auf und starrte dann ungläubig hinab auf ein zusammengeklammertes Bündel Seiten, alle bedeckt mit der sorgsamen, unverwechselbaren Handschrift, die ihm die letzten acht Jahre von Posten zu Posten gefolgt war. Und obenauf, als Begleitschreiben, ein einzelnes Blatt ohne Briefkopf, in derselben vertrauten Schrift:
    Mein lieber Toby,
    soviel ich weiß, haben Sie bereits das Vor-, nicht aber das Nachspiel. Hier, wie ich leicht beschämt …
    Er las nicht weiter. Ungestüm schlug er das Blatt nach hinten und überflog begierig die erste Seite:
    OPERATION WILDLIFE –
AUFBEREITUNG UND EMPFEHLUNGEN
    Inzwischen raste sein Herz so, und sein Atem ging in so unregelmäßigen Stößen, dass er sich fragte, ob es ihn nicht doch noch ereilen würde. Vielleicht fragte sich Emily das Gleiche, denn sie war neben ihm auf die Knie gesunken.
    »Du hast die Tür aufgemacht. Und dann?«, stammelte er, während er das Dokument hektisch durchblätterte.
    »Ich habe die Tür aufgemacht« – sanft jetzt, begütigend –, »und da stand er. Er wirkte überrascht, mich zu sehen, und fragte, ob du da seist. Er sagte, er sei ein ehemaliger Kollege und Freund von dir und er hätte dieses Päckchen für dich.«
    »Und du hast gesagt?«
    »Ich sagte, ja, du bist da, aber es geht dir nicht gut, und ich bin deine Ärztin, die dich behandelt. Und man sollte dich lieber nicht stören, ob ich ihm nicht helfen kann?«
    »Und er hat gesagt – red schon weiter!«
    »Er wollte wissen, was dir fehlt. Ich sagte, es tut mir leid, ich darf ihm ohne deine Erlaubnis keine Auskunft geben, aber es geht dir so gut wie unter den Umständen möglich, wobei die eingehendere Untersuchung noch aussteht. Und dass ich gerade dabei bin, die Ambulanz für dich zu rufen, was den Tatsachen entspricht. Hörst du zu, Toby?«
    Ja, er hörte zu, aber gleichzeitig las er fieberhaft weiter.
    »Und dann ?«
    »Er schien ein bisschen aus dem Konzept gebracht, setzte zum Sprechen an, sah dann noch einmal mich an – ein bisschen sehr eingehend, fand ich – und fragte, ob er meinen Namen erfahren dürfe.«
    »Sag mir, was er gesagt hat. Wortwörtlich.«
    »Herrgott noch mal, Toby!« Aber sie tat ihm den Willen: »›Wäre es sehr unverschämt von mir, wenn ich Sie nach Ihrem Namen frage?‹ Jetzt zufrieden?«
    »Und du hast ihm deinen Namen gesagt? Du hast gesagt, Probyn?«
    »Dr. Probyn. Was erwartest du denn von mir?« – als sie seinen Blick bemerkte. »Ärzte agieren offen, Toby. Ärzte geben ihren Namen an. Ihren richtigen Namen.«
    »Was hat er geantwortet?«
    »›Dann sagen Sie ihm doch bitte, dass ich seinen Geschmack bei medizinischen Beratern bewundere‹, was ich eine Spur frech fand. Und dann gab er mir das Päckchen. Für dich.«
    »Für mich
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