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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Autoren: John le Carré
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? Wie hat er mich beschrieben?«
    »›Für Toby !‹ Wie zum Teufel soll er dich beschrieben haben?«
    Er wühlte den Brief, den er nach hinten geschlagen hatte, wieder unter den übrigen Blättern hervor und las ihn zu Ende:
    … überrascht es Sie vielleicht nicht, zu hören, dass ich die freie Wirtschaft auf Dauer wenig bekömmlich finde, weshalb ich mir einen längeren Sonderurlaub fern der Heimat verordnet habe.
    Stets der Ihre,
    Giles Oakley
    P.S. Hier noch ein USB -Stick gleichen Inhalts. Vielleicht möchten Sie ihn dem hinzufügen, den Sie im Zweifelsfall schon haben. G. O.
    P.P.S . Und noch ein Rat: Was immer Sie vorhaben, handeln Sie schnell, da alle Anzeichen darauf hindeuten, dass man Ihnen zuvorkommen will. G. O.
    P.P.P.S. Ich entschlage mich der alten Diplomatensitte, Ihnen nochmals meine Ergebenheit zu beteuern, da derlei Beteuerungen bei Ihnen auf taube Ohren stoßen dürften. G. O .
    Und richtig, in einer durchsichtigen Plastikkapsel, die am oberen Seitenrand befestigt war, steckte ein USB -Stick mit der säuberlichen Aufschrift SICHERHEITSKOPIE .
    ***
    Er stand am Küchenfenster, wobei er nicht recht wusste, wie er dorthin gelangt war, und spähte mit gerecktem Hals hinunter auf die Straße. Emily stand neben ihm, eine stützende Hand an seinem Arm. Doch von Giles Oakley, dem Diplomaten, der konsequent nur halbe Sachen machte und nun plötzlich aufs Ganze ging, keine Spur. Aber was machte der Pannendienst da schräg gegenüber, keine dreißig Meter entfernt? Und seit wann waren drei kräftige Männer vonnöten, um das Vorderrad bei einem Peugeot zu wechseln?
    »Emily, tust du mir einen Gefallen?«
    »Erst wenn ich dich ins Krankenhaus gebracht habe.«
    »Schau in die unterste Schublade von der Kommode da drüben, ob du den USB -Stick von meiner Abschlussfeier an der Uni Bristol findest. Bitte.«
    Während sie suchte, schleppte er sich an der Wand entlang, bis er den Schreibtisch erreicht hatte. Mit seiner unversehrten Hand schaltete er den Computer an. Nichts. Er überprüfte das Kabel, den Hauptschalter, versuchte neu zu booten. Immer noch nichts.
    Emilys Mühe war unterdessen belohnt worden. Sie hatte den USB -Stick gefunden und hielt ihn hoch.
    »Ich muss raus, was erledigen«, sagte er und rupfte ihn ihr aus der Hand.
    Sein Herz raste wieder. Ihm war übel, aber sein Kopf funktionierte klar und präzise.
    »Bitte hör mir zu. In der Caledonian Road gibt es einen Laden, Mimi’s. Gegenüber einem Tattoostudio, das Divine Canvas heißt, und einem äthiopischen Restaurant.« War das die Klarheit vor dem Tod? Starb er? So wie sie ihn ansah, hielt er es nicht für ausgeschlossen.
    »Und?«, sagte sie. Aber sein Blick wanderte wieder in Richtung Straße.
    »Sag mir erst, ob sie immer noch da sind. Drei Automechaniker, die sinnlos vor sich hin palavern.«
    »Die Welt ist voll von Leuten, die sinnlos vor sich hin palavern. Was soll mit Mimi’s sein? Wer ist Mimi?«
    »Ein Internetcafé. Ich brauche Schuhe. Der Computer ist geschrottet. Und mein BlackBerry für die Adressen. Oberste linke Schreibtischschublade. Und Socken. Ich brauche Socken. Dann schau, ob die Männer noch dastehen.«
    Sie hatte seinen Anorak gefunden, der zerknüllt, aber ansonsten intakt war, und das BlackBerry in die linke Seitentasche gesteckt. Sie hatte ihm Socken und Schuhe angezogen, und sie hatte nachgesehen, ob die Männer noch da waren (ja). Sie hatte es aufgegeben, zu sagen: »Das schaffst du nicht, Toby«, und half ihm nun den Gang entlang.
    »Bist du sicher, dass Mimi um diese Uhrzeit empfängt?«, fragte sie in einem Versuch, launig zu klingen.
    »Schaff mich nur irgendwie die Treppe runter. Und dann geh. Du hast alles getan, was du tun konntest. Wirklich ganz toll. Tut mir leid wegen dem Schlamassel.«
    ***
    Die Treppe wäre womöglich kein ganz so schlimmer Alptraum gewesen, wenn sie sich einig geworden wären, wo Emily besser eingesetzt war: hinter Toby, um ihn zu stabilisieren, oder vor Toby, um ihn aufzufangen, falls er vornüberfiel. Aus Tobys Sicht war Zweiteres Schwachsinn hoch zehn, Emily könnte sein Gewicht nie und nimmer halten, und sie würden ineinander verkeilt auf der Fußmatte landen. Sie konterte, wenn er ins Straucheln kam, hätte er auch nichts davon, dass sie ihm von hinten ins Ohr schrie.
    Aber dieser Schlagabtausch drang ihm nur bruchstückhaft ins Bewusstsein über dem quälenden Unterfangen, seinen zerschundenen Körper die Stufen hinunter und auf die Straße zu bugsieren, wo sie sich beide erst
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