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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
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Bohnen gebrochen hatten, während sie darauf warteten, dass ihr Vater nach Hause kam. Das Dach war neu gedeckt, der Schornstein neu verfugt worden. Emily musste dem Drang widerstehen, zu klingeln und den neuen Besitzern überschwänglich zu danken.
    Die Vorstellung, dass das Haus wie durch ein Wunder in seinen Naturzustand zurückgekehrt war, hatte etwas Märchenhaftes. Sie wünschte, sie hätte eine Kamera mitgenommen, aber natürlich gab es - außer Arlene vielleicht - niemanden, dem sie die Fotos zeigen könnte. In ihrer Faszination merkte Emily erst, als sie in die Einfahrt der Volkers bog, um zu wenden, dass das Haus der Lowerys direkt gegenüber, fast identisch mit dem ihrer Eltern, zum Verkauf stand.
    Unverzüglich kam ihr der wahnwitzige Gedanke, dass sie es haben wollte. Die Intensität dieses Verlangens schockierte sie. Sie hatte nicht den Wunsch, wieder hier zu leben, doch ihr schoss sofort durch den Kopf, dass sie durch den Verkauf des Hauses in der Grafton Street den Bungalow der Lowerys problemlos kaufen und noch ein paar hunderttausend Dollar auf die hohe Kante legen könnte.
    Was wollte sie hier? Sie kannte kaum einen Menschen. Es gab kein Klassikradio, und im Vergleich zu Pittsburgh war die Bücherei ein Witz. Und was, fiel ihr mit Verspätung ein, sollte Arlene ohne sie anfangen?
    Sie wusste keine Antworten auf diese Fragen, doch auch nachdem sie einen letzten Blick auf das Haus geworfen hatte und auf dem Skyline Drive den Ort verließ, hielt die Versuchung noch eine Weile an. Als sie am Friedhof vorbeikam, hielt sie Ausschau nach den Cosmeen, genoss noch einmal den weiten Blick und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Wenige Augenblicke später glitt das Schild von Dagus Mines vorbei, sie hatte die Ortsgrenze überquert, und Kersey lag hinter ihr. Ab Challenge floss der Toby Creek funkelnd neben ihr her, glitt schäumend über Felsbänke, und während sie ihm stromabwärts folgte - genau wie das Wasser in Richtung Allegheny und Pittsburgh unterwegs -, dachte sie, dass ihr Besuch seltsam gewesen war, ganz anders, als sie es vorhergesagt hätte, konnte aber nicht genau sagen, warum, obwohl das Ergebnis eindeutig und überraschend war. Normalerweise freute sie sich, Kersey hinter sich zu lassen. Doch jetzt stimmte sie der Gedanke froh, vielleicht wiederzukommen.
     
    Abgang
     
    Chautauqua. Allein das Wort war ein Versprechen. Das ganze Jahr hatte sich Emily an den Gedanken geklammert, dorthin zurückzukehren. Und jetzt war es endlich so weit. Sie hatte alles Nötige erledigt und war bereit für ihre Belohnung.
    Der Wagen war gepackt, es war Zeit aufzubrechen, doch als sie ein letztes Mal durchs obere Stockwerk ging, wurde sie - was in letzter Zeit immer öfter vorkam - das Gefühl nicht los, etwas Wichtiges vergessen zu haben, etwas, woran sie unbedingt hatte denken wollen. Ein Ölwechsel war gemacht und der Wagen aufgetankt worden, das konnte es also nicht sein. Sie hatte Bargeld und ihr Scheckheft dabei, ihre Kreditkarten und, für alle Fälle, die Karte des Automobilclubs. Als Betty am Mittwoch da gewesen war, hatten sie den Kühlschrank sauber gemacht und den Müll und die Wertstoffe nach draußen gebracht. Gestern hatte sie die Wäsche gewaschen, und das Frühstücksgeschirr war gerade in der Maschine. Marcia würde den Garten gießen und Jim den Rasen mähen. Emily ließ die Post lagern und hatte die Zeitung abbestellt. Was konnte es sonst noch sein, und was machte es schon? Sie war nur eine Woche lang weg.
    Sie dachte, dass es eine notwendige Kleinigkeit war, aber ihr Zahnbürstenhalter war leer, ihre Zahnpasta nicht mehr da, und wo sie ihre Arznei und ihr Deodarant aufbewahrte, klafften in den Fächern des Medizinschränkchens Lücken. Sie wusste, dass sie ihre Haarbürste eingepackt hatte (die hatte sie in der Vergangenheit zu oft vergessen). Shampoo, Pflegespülung, Duschlotion. Was auch immer es sein mochte, es war nicht im Bad.
    Rufus saß in Habachtstellung im Flur und wartete auf sie. Seit gestern wich er nicht mehr von ihrer Seite, aus Angst, sie könnte ihn zurücklassen. Auf der Treppe drängte er sich an ihr vorbei und stieß mit der Schulter gegen ihr Knie. Sie hielt inne und befahl ihm stehenzubleiben.
    «Mach langsam», sagte sie, «sonst lasse ich dich wirklich hier.»
    Er wusste, dass sie nur bluffte. Nachdem sie ihm eine Strafpredigt gehalten hatte, lief er nach unten und wirbelte am Fuß der Treppe herum, um sie anzusehen, wobei sein Schwanz gegen die Rückenlehne
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