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Emerald: Hörspiel

Titel: Emerald: Hörspiel
Autoren: John Stephens , Alexandra Ernst
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durch die Straßen lief – Bruchstücke jener Zeit, in der sie alle eine Familie gewesen waren. Aber ihre deutlichste
Erinnerung, die immer gegenwärtig war, betraf die Nacht, in der sie, Michael und Emma fortgeschickt worden waren. Kate fühlte noch das Haar ihrer Mutter an ihrer Wange, die Hände ihrer Mutter, als sie die Kette um Kates Hals befestigten. Sie hörte ihre Stimme, die ihr flüsternd erklärte, wie sehr sie sie liebte, und die ihr gleichzeitig das Versprechen abnahm, auf ihre Geschwister aufzupassen.
    Und Kate hatte dieses Versprechen gehalten. Sie hatte sich um ihren Bruder und ihre Schwester gekümmert, Jahr für Jahr, Waisenhaus für Waisenhaus, damit sie eines Tages, wenn ihre Eltern zurückkehren würden, sagen konnte: »Seht ihr? Ich hab’s geschafft. Es geht ihnen gut.«
    Sie fand Michael und Emma im Speisewagen, wo sie am Tresen saßen und Donuts und heiße Schokolade verputzten, beides ein Geschenk einer netten Kellnerin.
    »Mir ist noch einer eingefallen«, sagte Michael und grinste mit einem Clownsmund aus Puderzucker. »Pugwillow.«
    »Pugwillow?«, wiederholte Kate. »Ist das ein Name?«
    »Nein«, sagte Emma. »Das hat er sich gerade ausgedacht.«
    »Na und?«, versetzte Michael. »Es könnte trotzdem ein Name sein.«
    Eine der liebsten Betätigungen der Kinder in den letzten zehn Jahren war das Rätselraten um den Buchstaben P gewesen. Wofür stand er? Wie lautete ihr richtiger Nachname? Sie hatten Tausende von Möglichkeiten durchgespielt: Peters, Paulson, Plainview, Puget, Pickett, Plukowsky, Paine, Pone, Platte, Pike, Pabst, Packard, Padamadan, Paddison, Paez, Paganelli, Page, Penguin (das war lange Zeit Emmas Lieblingsname gewesen), Pasquale, Pullman, Pershing, Peet, Pickford, Pickles und so weiter und so weiter. Sie hatten die Hoffnung, dass der richtige
Name etwas in Kates Erinnerung zum Klingen bringen und sie ganz plötzlich ausrufen würde: »Das ist es! Das ist unser Name!« Dann hätten sie einen Hinweis auf der Suche nach ihren Eltern. Aber das war nie geschehen.
    Kate schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Michael.«
    »Schon gut. Vermutlich ist es gar kein richtiger Name.«
    Die Kellnerin schenkte ihnen noch einmal heiße Schokolade nach, und Kate fragte, ob sie ihnen irgendetwas über Cambridge Falls erzählen könnte. Die Frau sagte, sie hätte noch nie von diesem Ort gehört.
    »Wahrscheinlich gibt’s das Kaff gar nicht«, sagte Emma, als die Kellnerin außer Hörweite war. »Ich wette, Miss Crumley wollte uns nur loswerden. Sie hofft vermutlich, dass wir ausgeraubt und ermordet werden oder so etwas.«
    »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir alle drei ermordet werden«, sagte Michael und schlürfte seine heiße Schokolade. »Vielleicht einer von uns.«
    »Okay, dann kannst du ermordet werden«, sagte Emma.
    »Nein, du kannst ermordet werden.«
    »Nein, du.«
    »Nein, du.«
    Sie fingen an zu kichern. Emma sagte, dass ein Mörder, der Michael zu Gesicht bekam, gar nicht anders konnte, als ihn zu ermorden. Er würde ihn vermutlich sogar zweimal ermorden. Und Michael erwiderte, dass vermutlich ein ganzes Rudel Mörder in Westport auf Emma warten würde und dass sie Lose ziehen müssten, um zu entscheiden, wer den Vorzug haben dürfte … Kate ließ sie gewähren.
    Auf der einen Seite des Medaillons, das ihre Mutter ihr gegeben hatte, war eine Rose eingraviert. Kate hatte es sich
angewöhnt, das Metall zwischen ihrem Daumen und ihrem Zeigefinger zu reiben, und über die Jahre war das Bild der Rose beinahe ganz abgewetzt. Kate hatte vergeblich versucht, die Angewohnheit wieder abzulegen, und so rieb sie auch jetzt über das Medaillon und fragte sich, wohin Miss Crumley sie bloß geschickt hatte.
     
     
    Westport war eine kleine Stadt am Ufer des Lake Champlain. Um die Laternenpfähle wanden sich Girlanden und über den Straßen hingen schon die Weihnachtslichterketten. Die Kinder hatten keine Schwierigkeiten, zum Hafen zu gelangen und Pier 12 zu finden. Aber jemanden aufzuspüren, der schon einmal von Cambridge Falls gehört hatte, war eine andere Sache.
    »Was für ein Falls?«, brummte ein bärtiger Mann mit zusammengekniffenen Augen, der genauso gut fünfzig wie hundertzehn Jahre alt sein konnte.
    »Cambridge Falls«, sagte Kate noch einmal. »Es liegt auf der anderen Seite des Sees.«
    »Nicht dieses Sees. Das wüsste ich. Ich segle schon mein ganzes Leben lang auf diesem See.«
    »Hab ich’s nicht gesagt?«, grummelte Emma. »Die gruselige Miss Crumley will uns
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