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Emerald: Hörspiel

Titel: Emerald: Hörspiel
Autoren: John Stephens , Alexandra Ernst
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Heimleiterin. »Miss Crumley, was um aller Welt geht hier vor?«
    »Nichts, Mrs Lovestock, gar nichts. Ich versichere Ihnen …«
    »Es ist eine Schlange«, sagte Michael.
    Mrs Lovestock sah aus, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen.
    »Das ist keine Schlange«, sagte Emma.
    »Ist es wohl.« Michael betrachtete aufmerksam den Hut. »Es ist eine Kobra.«
    »Aber es ist doch ganz weiß.«
    »Vielleicht hat sie die Schlange angemalt.« Er wandte sich jetzt direkt an Mrs Lovestock. »Stimmt’s? Haben Sie die Schlange angemalt?«
    »Michael! Emma!«, zischte Kate. »Seid still.«
    »Ich habe doch bloß gefragt, ob sie die Schlange angem...«
    »Pst!«
    Eine schiere Ewigkeit lang war nur das Zischen des Radiators zu hören – und das schabende Geräusch, mit dem Miss Crumley ihre Hände rang.

    »Noch nie in meinem Leben …«, setzte Mrs Lovestock schließlich an.
    »Meine liebe Mrs Lovestock …«, versuchte Miss Crumley einzulenken.
    Kate wusste, dass sie etwas sagen musste. Wenn nur die geringste Hoffnung bestehen sollte, dass man sie nicht wegschickte, dann musste sie die Wogen glätten. Aber dann machte die Frau den Mund auf und sagte die fatalen Worte: »Ich weiß ja, dass man von Waisen nicht allzu viel erwarten darf, aber …«
    »Wir sind keine Waisen«, unterbrach Kate sie.
    »Wie bitte?«
    »Waisen sind Kinder, deren Eltern tot sind«, erklärte Michael. »Unsere sind es nicht.«
    »Sie kommen wieder«, fügte Emma hinzu.
    »Hören Sie gar nicht hin, Mrs Lovestock. Gar nicht hinhören. Das ist nur dummes Waisengeschwätz.« Miss Crumley bot ihrem Gast die Bonbonschale an. »Ein Bonbon?«
    Mrs Lovestock achtete gar nicht auf sie.
    »Es stimmt«, beharrte Emma. »Sie kommen wieder. Ehrlich.«
    »Nun passt mal auf!« Mrs Lovestock beugte sich vor. »Ich bin eine geduldige Frau. Da könnt ihr fragen, wen ihr wollt. Aber eins werde ich nicht dulden, und zwar Fantastereien. Dies ist ein Waisenhaus. Ihr seid Waisen. Wenn eure Eltern euch gewollt hätten, dann hätten sie euch nicht am Straßenrand stehen gelassen wie den Abfall von letzter Woche, ohne euch auch nur einen zivilisierten Nachnamen auf den Weg zu geben. P! Also bitte! Ihr solltet dankbar sein, dass jemand wie ich über eure ungeheuerlich schlechten Manieren hinwegsieht – und über eure Unkenntnis über den herrlichen Wasservogel, mit dessen Abbild ich mich schmücke. Ihr solltet euch freuen, dass ich euch
in meinem Zuhause aufnehmen will. Also, was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?«
    Kate sah, wie Miss Crumley um die Taille der Frau herumspähte und sie anfunkelte. Wenn sie sich nicht bei der Schwanendame entschuldigte, würde Miss Crumley sie gewiss irgendwo hinschicken, wogegen ihnen das Edgar-Allan-Poe-Waisenhaus für schwer erziehbare Kinder wie ein Luxushotel vorkommen würde. Aber was war die Alternative? Bei dieser Frau zu leben, die behauptete, ihre Eltern hätten sie wie Müll weggeworfen und würden niemals zurückkehren? Sie drückte die Hand ihrer Schwester.
    »Wissen Sie«, sagte sie, »es sieht tatsächlich aus wie eine Schlange.«

KAPITEL 2
Miss Crumleys Rache
    Das Ruckeln des Zuges weckte Kate. Sie war, mit dem Kopf an das Fenster gelehnt, eingeschlafen, und jetzt hatte sie eine kalte Stirn. Nachdem der Zug am Vormittag in New York angehalten hatte, war er am Hudson River entlanggefahren, vorbei an Hyde Park und Albany und einem Dutzend weiterer Kleinstädte, die sich an das Ufer des Flusses drängten. Als sie jetzt zum Fenster hinausschaute, sah Kate, dass sich Eis auf dem Wasser gebildet hatte und dass sie durch eine Landschaft voller sanfter, schneebedeckter Hügel fuhren. Hin und wieder war ein dunkler Fleck in dem Weiß zu sehen, wo eine Farm stand. Sie hatten Baltimore am frühen Morgen verlassen. Miss Crumley hatte sie selbst zum Bahnhof gebracht.
    »Nun, ich hoffe, im nächsten Waisenhaus benehmt ihr euch besser.« Die Kinder standen auf dem Bahnsteig. Jedes hatte eine Tasche in der Hand, in der seine wenigen Kleider und ein paar weitere Habseligkeiten untergebracht waren.

    Kate hatte geahnt, dass sich Miss Crumley diese letzte Gelegenheit für eine Standpauke nicht entgehen lassen würde.
    »Ich habe dem Leiter eures neuen Waisenhauses gesagt, dass aus euch vermutlich Kriminelle, wenn nicht sogar Mörder werden würden. Dr. Pym – ja, ich glaube, so heißt er, Dr. Stanislaus Pym – erklärte mir, dass ihr genau die Art von Kindern seid, nach der er sucht. Ha! Ich kann mir vorstellen, was euch drei
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