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Emerald: Hörspiel

Titel: Emerald: Hörspiel
Autoren: John Stephens , Alexandra Ernst
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blicken seufzend in Spiegel, wie die Elfen es tun. Zwerge arbeiten hart.«

    Michael hatte keine besonders gute Meinung von Elfen.
    Der Ursprung seiner Leidenschaft lag in einem Buch mit dem Titel Alles über Zwerge – Eine ausführliche Anthologie , geschrieben von einem gewissen G. G. Greenleaf. Als sie an jenem ersten Morgen in ihrem neuen Leben erwachten, ohne ihre Eltern, in einem fremden Zimmer, hatte Kate das Buch entdeckt. Es hatte unter Michaels Decke gesteckt. Sie hatte es sofort erkannt: Es war das Buch, das ihre Mutter ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt hatte. In den folgenden Jahren las Michael es mehrere Male. Kate wusste, dass er sich auf diese Weise mit einem Vater verbunden fühlte, an den er sich kaum noch erinnern konnte. Und so versuchte sie stets, in Emma Verständnis zu wecken, wenn Michael zu einem seiner spontanen Vorträge über Zwerge ansetzte. Aber das war nicht immer einfach.
    Die Luft in der Höhle war feucht und roch nach Moos, aber die Decke war hoch genug, dass Kate und Emma aufrecht stehen konnten. Michael kauerte ein paar Meter vom Höhleneingang im Licht einer Taschenlampe. Er war genauso hager und hatte das gleiche kastanienbraune Haar und die gleichen dunklen Augen wie seine kleine Schwester, obwohl seine hinter einer Brille mit Drahtgestell versteckt lagen. Die Leute hielten die beiden oft für Zwillinge, was Michael stets erboste. »Ich bin ein Jahr älter«, sagte er dann. »Das sieht man doch wohl!«
    Es blitzte auf, dann surrte es, und dann spuckte Michaels uralte Polaroidkamera ein Bild aus. Er hatte die Kamera vor ein paar Wochen bei einem Trödler in Baltimore entdeckt, zusammen mit etwa einem Dutzend Filme, die ihm der Ladenbesitzer mehr oder weniger geschenkt hatte. Seitdem benutzte er sie für seine »Forschungsarbeiten«, wobei er Kate und Emma ständig daran erinnerte, wie wichtig es war, seine Entdeckungen zu dokumentieren.

    »Hier.« Michael zeigte auf den Stein, den er gerade fotografiert hatte. »Was haltet ihr davon?«
    Emma stöhnte. »Das ist doch bloß ein Stein!«
    »Was denkst du denn, was es ist, Michael?«, fragte Kate, die ihm seine Laune nicht verderben wollte.
    »Das Blatt einer Zwergenaxt«, erklärte Michael. »Es ist vom Wasser ziemlich zerfressen. Bei dieser Feuchtigkeit sind die Artefakte, die man findet, nur schlecht erhalten.«
    »Das ist komisch«, sagte Emma. »Das Ding sieht nämlich genauso aus wie … ein Stein.«
    »Okay, das reicht«, sagte Kate, die merkte, dass Michael drauf und dran war, sich aufzuregen. Sie erzählte ihm von der Frau, die drei Kinder adoptieren wollte.
    »Geht ihr nur«, sagte er. »Ich habe hier noch einiges zu erledigen. «
    Die meisten Waisen brannten darauf, adoptiert zu werden. Sie träumten von einem reichen, freundlichen Ehepaar, das ihnen ein Leben in Liebe und Bequemlichkeit bieten würde. Kate und ihre Geschwister waren da eine Ausnahme. Es fing schon damit an, dass sie sich weigerten, sich selbst als Waisen zu betrachten.
    »Unsere Eltern sind noch am Leben«, sagten sie. »Und eines Tages kommen sie uns holen.«
    Natürlich glaubte ihnen niemand. An einem verschneiten Weihnachtsabend vor zehn Jahren hatte man sie ins St.-Mary-Waisenhaus am Ufer des Charles River in Boston gebracht, und seitdem hatten sie kein Wort mehr von ihren Eltern oder irgendwelchen anderen Verwandten gehört. Sie wussten nicht einmal, wofür der Buchstabe P ihres Nachnamens stand. Aber trotzdem glaubten sie immer noch tief in ihren Herzen, dass ihre
Eltern eines Tages wieder auftauchen würden. Das lag zu einem großen Teil daran, dass Kate ihre Geschwister immer wieder an das Versprechen ihrer Mutter erinnerte, das sie ihr an jenem letzten Abend gegeben hatte: dass sie eines Tages wieder zusammen sein würden. Das machte die Vorstellung, ein Fremder könnte sie adoptieren, schlichtweg unmöglich. Unglücklicherweise gab es in diesem Fall noch andere Umstände zu bedenken.
    »Miss Crumley sagt, das sei unsere letzte Chance.«
    Michael seufzte und ließ den Steinbrocken fallen, den er für eine Axt hielt. Dann nahm er die Taschenlampe und folgte seinen Schwestern nach draußen.
    In den vergangenen zehn Jahren waren die Kinder in sage und schreibe zwölf verschiedenen Waisenhäusern gewesen. Ihr kürzester Aufenthalt betrug zwei Wochen. Am längsten waren sie in dem ersten Heim gewesen, im St.-Mary-Waisenhaus, und zwar fast drei Jahre. Aber eines Tages war das Waisenhaus in Flammen aufgegangen, einschließlich der Mutter Oberin,
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