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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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auf und ab. Beobachtete Elsa, die ihren Sohn zu Bett brachte. Konnte meinen Blick nicht lösen von dieser vollkommenen Frau.
    »Darf Fetti zuhören?«, fragte sie Anton, nachdem das Knarren der Holzdielen meine Anwesenheit verraten hatte. »Das Murmeltier hat in seinem Haus gewohnt. Er kannte ihn gut.«
    »Dann komm rein, komm rein«, rief der Junge. »Los, Mister Fetti, setz dich auf mein Bett.«
    Nur der Zigarrenrauch fehlte. So wie einst der gute Geist unserer Kindheit lehnte jetzt Elsa am Fenster. »Es war sein erster Tag in Paris, er saß draußen in einem Restaurant, die Abendsonne tauchte alles in ein unwirkliches Licht. Feierlich erhob das Murmeltier sein Glas und leistete einen Schwur: Zukünftig wollte er sich vor den Weibern in Acht nehmen. Paris sollte ein Neuanfang werden.
    ›Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?‹, ertönte eine Stimme dicht neben seinem Ohr. Julie. Rote Haare, ein riesiger Busen, Ehefrau eines erfolgreichen Anwalts und Mutter zweier Kinder. Wenig später fand er sich auf dem Dachboden ihrer Stadtvilla wieder. Zwischen ausrangierten Möbeln und Koffern richtete Julie ein Lager her und riss ihm die Kleider vom Leib. Ihre Brüste hingen über seinem Gesicht. Wie eine Furie ritt sie auf ihm.«
    »Was ist eine Furie?«, fragte Anton.
    »Eine Furie ist eine Rachegöttin.«
    Während Elsa erzählte, regte sich etwas in mir, direkt unter meinem Brustbein, dort, wo ich die Unschuld vermutete.
    »Das war Paris. Nicht einmal Mona Lisa hatte das Murmeltier lächeln sehen. Und jetzt Ohren zu! Fetti, du auch.«
    Wir gehorchten.
    »Könnt ihr mich noch hören?«
    »Nein«, antworteten wir.
    »Wirklich nicht?«
    »Wirklich nicht.«
    »Verfluchte Schnallen! Verdammte Fotzen! Alles haben sie ihm genommen. Alles.«
    Elsa küsste ihren Sohn auf die Stirn. »Gute Nacht, du herrliches Kind.«
    »Wann erzählst du mir endlich von der Erkenntnis des Murmeltiers?«
    »Bald, Anton. Schlaf gut.« Und dann knipste sie das Licht aus.
    »Mama?«
    »Ja?«
    »Suchen wir weiter nach Eugen?«
    »Jeden Tag, bis wir ihn finden.«
    »Auch wenn die Ferien vorbei sind?«
    »Bis wir ihn finden.«
    Wir gingen hinaus, behutsam schloss sie die Tür.
    »Also, Fetti, morgen schön die Augen aufsperren, jetzt wo du weißt, was ein Präriehund ist.« Mit einem Bein stand sie schon in ihrem Zimmer.
    »Elsa, darf ich mich ein paar Minuten zu dir setzen? Ich will noch nicht zu der Ente.«
    »Was?«
    »Da hängt ’ne tote Ente über meinem Bett.«
    »Hier hängen eine Menge tote Tiere.«
    »Aber Enten sind meine Freunde, nicht meine besten Freunde, wir haben so unsere Differenzen. Trotzdem, sie sollen schwimmen, und wenn sie schon nicht schwimmen, dann sollen sie wenigstens atmen.«
    »O Mann, Fetti, halt den Mund und komm rein.«
    Es war ein weitaus freundlicheres Zimmer als das Gröhlersche Kellerverlies vergangener Tage.
    Möbel aus Zedernholz. Ein grüner Teppich, dessen Rand geflügelte Pferde säumten. Überquellende Bücherregale. An den Wänden von Anton gemalte Bilder.
    Zwischen Bruchstücken von Elsas texanischem Leben entdeckte ich ein paar alte Bekannte: Dutzende Nagellackflacons in verschiedenen Rottönen. Über der Stuhllehne das weiße Kleid und das Flamingo-Gefieder.
    »Sind das Einhörner?«, fragte ich, den Blick auf die gewebten Fabelwesen gerichtet.
    »Fetti, warum heißen Einhörner Einhörner?«
    »Keine Ahnung.«
    »Weil sie ein Horn haben, du Idiot.«
    »Also sind es keine Einhörner.«
    »Applaus.«
    Wir saßen nebeneinander auf dem Bett. Elsa rutschte näher an mich heran. »Gib mir mal deine Hand.«
    Sie nahm meinen Zeigefinger und steckte ihn in den Mund. Zwei Lücken im Unterkiefer. Rechts und links fehlten die vorderen Backenzähne.
    »Jeder anständige Mensch verliert beizeiten ein paar Zähne«, sagten wir im Chor und lachten.
    »Keine Implantate?«, fragte ich und dachte an Mirberg.
    Elsa schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, Fetti: An unseren Lücken erkennen wir einander.« Man muss seine Wunden wohl mit Würde tragen.
    Die Abfolge minimaler Bewegungen – rechte Schulter zurück, eine Locke hinters Ohr, vielleicht war es auch die linke Schulter, unwichtig – verschob die Perspektive. Die fliegenden Pferde am Boden und Antons farbige Wachsmal-Phantasien an den Tapeten hatten mich den schmalen Silberrahmen direkt über dem Kopf des Bettes übersehen lassen. Schwarzer Fleck, blinder Fleck. Erste Versuche der Ewigkeit .
    »Das hat Lorenz gemalt«, sagte ich.
    Sie
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