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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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sollte nach vorne und nicht nach hinten schauen.
    Eugen war tot.
    Ich hob den blutenden einbeinigen Schwarzschwanz-Präriehund hoch und wiegte dieses übergroße Eichhörnchen in meinen Armen. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, Elsa und Anton das Tier zu übergeben, entschied mich aber dagegen. Ihre vergebliche Suche würde Eugen unsterblich machen. Unzählige Geschichten statt ein Grab. Tausend Schicksale statt ein Ende. Ich wickelte Eugen in meine Jacke und legte ihn auf den Beifahrersitz.
    » Turn left , turn left «, lotste mich eine strenge Frauenstimme durch die Nacht.
    Matthew saß Pfeife rauchend auf der Veranda und zeigte wenig Verwunderung über meine Rückkehr.
    »Das ging schnell«, sagte er.
    »Es waren Jahrzehnte«, antwortete ich.
    »Wie Sie sehen, Ihr Bett steht noch. Und was haben Sie mir da mitgebracht?« Er deutete auf das Bündel in meinen Armen.
    »Einen einbeinigen, toten Präriehund.«
    Am Ufer des Lake Daniel beerdigten wir Eugen.
    »Ein Kreuz?«, fragte Matthew.
    »Nein. Keine Spuren.«
    »Ein Gebet?«
    »Mir fällt nichts ein.«
    »Na kommen Sie, wir fahren nach Hause und werden den Toten verabschieden, wie es sich nach einer alten Tradition in meiner Familie gehört.«
    Wenn man zu zweit in einem Auto sitzt, ist man nicht immer der Fahrer. Der Mann, der mir den Schlaf zurückgegeben hatte, lenkte den Chevrolet Tahoe Richtung Green House . Ich schaute weder vor noch zurück.
    Prächtige Flammen loderten im Vorgarten der Pension, auch für eine ganze Sippe von Schwarzschwänzen wäre es ein würdiger Abschied gewesen. Wir hatten die greisen Korbstühle vor das Feuer gestellt. Zwischen uns eine Kühlbox mit Bierdosen und eine Flasche Hennessy. Der Alkohol schoss mir sofort in den Kopf.
    »Was wissen Sie über Wölfe und Hunde, Matthew?«, fragte ich und griff nach dem Cognac. Er schwieg so lange, dass ich zusammenzuckte, als er doch noch antwortete.
    »Man muss sie zu unterscheiden lernen, bevor man ihnen Einlass gewährt. Sie kommen nachts oder wenn es sonst finster ist, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Also müssen Sie ihre Schatten lesen.«
    »Und wie?«
    »Indem Sie die Augen aufmachen.«
    »Und wenn es mir nicht gelingt?«
    »Dann sind Sie verloren.«
    »Aber…«
    »Die Augen aufmachen. Keine Zauberei. Nur die Augen aufmachen.«
    Sechs Wochen später – Tage und Nächte, in denen ich weder vor- noch zurückgeschaut hatte – übergab ich Sam am Flughafen den schwarzen Chevrolet und dankte ihm für die Empfehlung des Green House.
    »Ich müsste auch mal wieder hinfahren, Sir. War ewig nicht mehr da. Wie geht es meinem Onkel?«
    »Gut.«
    »Und Matthews Frau und den Kindern?«
    »Der… der Frau und den…«, stammelte ich . »Gut. Sehr gut.«So hat anscheinend jeder seine Geschichte.
    Die Fabrikhalle war nicht verschlossen. Musik, Rauch und Gelächter strömten mir entgegen.
    Etwa zwanzig Leute bevölkerten die Festung, zu der Lorenz früher nur Vera und mir Zutritt gewährt hatte, niemandem sonst war es gestattet, Brauers werdende Ewigkeit zu betrachten. Während meiner Abwesenheit waren die Regeln offensichtlich geändert worden.
    Kein Pinselstrich verdeckte das zweigeteilte Gesicht des Murmeltiers. Nicht ein Farbklecks kündigte Motiv Nr.   5 an.
    Vera rief meinen Namen. Sie saß auf dem Bärenfell und präparierte mit geübter Hand ihre Medizin. Beim Anblick des weißen Pulvers drückte das Verlangen gegen meinen Gaumen, erhöhte den Speichelfluss. Wie eine verflossene Geliebte lächelten mich die feinen Linien an. Erinnerten mich an unsere glücklichen Zeiten. An die Stunden der Leichtigkeit. Du warst unbesiegbar, Karl Brauer, lockten sie, und die Welt ein verheißungsvoller Ort.
    Mach die Augen auf. Mach die Augen auf, mahnte eine andere Stimme.
    »Wo ist mein Bruder?«, fragte ich Vera, als ich vor ihr stand.
    »Wo dein Bruder ist? Wo dein Bruder ist? Wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht. Wir dachten, du… du seist tot oder…«
    »Ich lebe, Vera. Wo ist er?«
    »Oben.« Sie hielt mir den Spiegel hin.
    Mach die Augen auf.
    »Nein.«
    Brauers Stimme drang aus seiner Zeugungsstätte.
    Im Halbkreis um den großen Künstler versammelt, kniete eine Frauenherde und lauschte andächtig seinen Gedanken über die Ewigkeit. Sinnfreie Satzfetzen. Er war kein Dichter, sondern ein Maler. Doch die schönen Schafe nickten eifrig und bewundernd.
    Lorenz sprang auf und fiel mir um den Hals. »Karl! Karl!« Gleich einem Mantra wiederholte er meinen Namen. Verwirrung ergriff die
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