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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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nickte, vergrub ihr Gesicht in den Händen.
    »Elsa?«
    27   Mal sprach ich ihren Namen aus. Tränen tropften über ihr Kinn.
    »Was…«
    Sie ließ die Arme sinken. »Du hast es nie kapiert, Fetti?«
    »Was?«
    »Lorenz und ich.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Schau Anton lange in die Augen, und du wirst deinen Bruder finden.«
    »Elsa!«
    »Ich war im dritten Monat schwanger, als ich hierherkam.«
    »Du warst…«
    Sie nickte.
    »Wusste Lorenz…«
    »Ja. Und Willi auch.«
    Nur Fetti wusste nichts, dachte ich.
    Im Schilf hatten sie sich das erste Mal geküsst. Nicht richtig, wie Kinder.
    »Wo war ich?«
    »Du hast am Ufer gestanden und nach uns gerufen.«
    Ein kleiner, fetter Junge in einer mit Delphinen bedruckten Badehose.
    Das zweite Mal hatten sie sich im Billardzimmer des Jagdhofs geküsst, und zwar richtig.
    »Wo war ich?«
    »Du hast für Lorenz Klopapier geholt.«
    Ein paar Tröpfchen Blut. Und etwas war anders gewesen, als ich zurückkam.
    »Aber Elsa, ihr habt euch ständig geschlagen und gestritten.«
    »Ja.«
    »Und trotzdem?«
    »Trotzdem… Du musst es doch geahnt haben?«
    »Vielleicht.«
    Bevor Elsa und ich damals die Stiefel zu Grabe getragen hatten, war sie bei Lorenz gewesen. Eine von vielen Nächten.
    »Als ich ihm sagte, dass ich schwanger bin, planten wir, zusammen abzuhauen. Wir sind nicht weit gekommen. Bis zum Bahnhof.«
    Das Verhör in der Küche. Der Geschmack von alten Schokoladenostereiern.
    »Und dann?«
    »Lorenz wollte nicht mehr.«
    »Warum?«
    »Er wollte einfach nicht mehr. Wahrscheinlich wollte er nie.«
    Also sprang Schweine-Willi in die Bresche.
    »Er hat mir geholfen, mir ein Zuhause gegeben. Er wusste, dass ich schwanger war und auch, von wem. Ich habe ihm nie von Gustav erzählt, aber er ahnte, dass die Gröhlers keine guten Eltern waren.«
    »Hat Lorenz dir jemals geschrieben oder dich angerufen?«
    »Nein, nur du hast Briefe geschickt.«
    »Und wo komme ich in der Geschichte vor?«
    »Du warst ein guter Freund, mein guter, guter Freund.«
    »Ich bin dir gefolgt, Elsa. Immer. Bis hierhin.«
    »Ach Fetti, armer Fetti.«
    »Wenn ich Gustav damals umgebracht hätte, wenn ich dich gerettet hätte, wären…«
    »Was redest du denn da!«, fiel sie mir ins Wort. »Du warst ein Kind, und es war eh zu spät. Es war doch schon längst geschehen.«
    »Ich weiß überhaupt nichts mehr, Elsa. Ein Hund oder ein Wolf?«
    Sie nahm meine Hand, drückte sie sanft. »Ich weiß auch nicht besonders viel. Ich habe einen Sohn, den ich über alles liebe.
    Manchmal wache ich nachts auf und denke an Lorenz. Ein Schatten, der mich umkreist. Ich finde keinen Schlaf, andere Schatten tauchen auf. Meine Mutter, die mich verlassen hat. Gustav Gröhler, der mich zerfleischte, wie es nur Wölfe können. Ich verjage sie aus meinem Zimmer. Zurück bleibt etwas, das mich weinen lässt. Dann geht die Sonne auf und ich sehe Anton, meinen Sohn, den ich über alles liebe.«
    Elsa erhob keine Einwände, als ich meine unausgepackte Tasche holte. Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinab. Sie lehnte sich gegen die Kühlerhaube des Riesenautos.
    »Also sagen wir jetzt adieu, Fetti.«
    »Ja.«
    »Denk nicht schlecht von mir.«
    »Wie könnte ich?«
    »Und vergiss mich nicht ganz.«
    »Wie könnte ich?«
    Gedankenverloren strich sie mit zwei Fingern über den schwarzen Lack. »Ich habe immer gehofft, dass er eines Tages hier auftauchen würde. Am Ende der Welt.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das hören will, Elsa.«
    »Ach Fetti, armer Fetti.« Ihre Lippen streiften meine Wangen, flüchtig. Was hätte ich dafür gegeben, eine andere Rolle als die meine in Elsas Geschichte spielen zu dürfen.
    Ich wollte einsteigen, aber Elsa packte meinen Arm. »Warte kurz.«
    Sie rannte ins Haus und kam mit einem Wachsmalbild von Anton zurück. »Hier, das ist Eugen. Schenke ich dir.«
    Ein dickes, grünes, hamsterartiges Wesen lächelte mich an.
    »Grün ist seine Lieblingsfarbe.«
    »Danke.« Ich nahm Elsas Kopf in die Hände, küsste ihre Stirn.
    »Ich wünsche dir nur das Beste, Elsa Hinrich.«
    »Ich dir auch, Karl Brauer.«
    Langsam rollte der Chevrolet Tahoe die Zufahrtsstraße entlang.
    Ein letztes Mal blickte ich zurück, um Abschied zu nehmen von A Dozen Oaks , von einem Tag, der sich niemals in Zeit messen lassen würde. Ein dumpfer Knall erinnerte mich daran, dass ich allein in einem Auto saß, das sieben Personen bequem Platz bot. Wenn man allein in einem Auto sitzt – ungeachtet seines Volumens –, ist man der Fahrer und
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