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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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lenkte.
    Throckmorton lag nur dreieinhalb Stunden entfernt, doch in diesem Zustand wollte ich der Königin des Murmeltiers nach einem Jahrzehnt nicht unter die Augen treten. Unangekündigt noch dazu. Irgendwo zwischen Dallas und der Farm würde ich ein paar Tage pausieren. Schlafen, Veras Medizin aus meinen Gedanken vertreiben und Worte finden. Worte für Elsa.
    Ich bin hier, weil ich dir immer gefolgt bin.
    Ich bin hier, weil deine Lippen einmal meine Wangen gestreift haben und ich mich von dieser Berührung nie wieder erholt habe.
    Ich bin hier, weil ich den Schatten eines Wolfes nicht von dem eines Hundes unterscheiden kann.
    Sam hatte mir nicht nur den Sieben-Sitzer vermietet, sondern auch einen Ort zur Erholung empfohlen. Lake Daniel, ein Naturreservat in Stephens County. Sein Onkel führte ganz in der Nähe des Sees ein Hotel, eher eine Pension, The Green House . Nicht luxuriös, aber sauber. Sehr ruhig, fast einsam.
    »Das klingt gut«, sagte ich.
    Und schon hatte Sam zum Telefon gegriffen und ein Zimmer für mich reserviert.
    The Green House erinnerte an das heruntergekommene Fast-Hotel meines Vaters. Ich war der einzige Gast und Sams Onkel Matthew der einzige Bewohner.
    Ob ich zum Fischen hier sei, fragte Matthew.
    »Nein.«
    Zum Bootfahren?
    »Auch das nicht.«
    Die Entenjagdsaison habe noch lange nicht begonnen.
    »Ich jage nicht.«
    Was ich dann hier wolle?
    »Meine Ruhe.«
    Matthew nickte, er verstand.
    Das Verlangen nach Veras Medizin überwältigte mich in unregelmäßigen Abständen. Mehr als einmal stieg ich in den Chevrolet Tahoe, bereit, für ein bisschen Koks bis nach Dallas oder auch bis ans Ende der Welt zu fahren. Meine Hände umklammerten das Lenkrad, der Zündschlüssel steckte. Doch ein winziger Teil meines Gehirns bekämpfte die Gier, beschwor Elsas Bild herauf.
    Elsa war mir Schwert, Schild und Panzer.
    Die Nachmittage verbrachte ich am Ufer des Lake Daniel – ein wilderes Gewässer als unser Stausee – und starrte Enten an.
    Rotbraune Köpfe, silbernes Gefieder. Ich sprach zu ihnen, und zeitweise schienen sie mir tatsächlich zuzuhören. Ja, meine Gesellschaft sogar zu schätzen. Aber dann, mit einer grausamen Plötzlichkeit, schwammen die Tiere davon. »Hey, kommt zurück, ich bin für eure Verwandten in die Schlacht gezogen. Für die Graugänse! Für die Graugänse!« Meine Heldentaten rührten ihre kalten Entenherzen nicht.
    »Arschlöcher, bald knallen sie euch eh alle ab.« Auch meine Beschimpfungen zeigten keine Wirkung. »Ihr könnt mich mal! Das war’s.«
    Und doch kam ich am nächsten Tag wieder.
    Abends saß ich meist auf der Veranda des Green House in einem der zwei Korbsesselgerippe. Manchmal leistete Matthew mir Gesellschaft. In stillem Einvernehmen verzichteten wir auf jede Unterhaltung. Während ich den texanischen Himmel betrachtete, rauchte er seine Pfeife.
    »Worauf warten Sie eigentlich?«, brach er unser friedliches Schweigen, als ich schon eine Woche lang sein zahlender Gast war.
    »Warum glauben Sie, dass ich auf etwas warte?«
    »Die meisten Menschen warten auf etwas.« Er lächelte. »Keine Antwort?«
    »Doch. Doch… Ich warte darauf, dass ich schlafen kann. Dass die schwarzen Schatten unter meinen Augen ein paar Nuancen heller werden. Dass ich mich in den Griff bekomme. Man sollte sich im Griff haben, wenn man einer Königin nach vielen Jahren wiederbegegnet.«
    »Einer Königin?«
    »Ja… Der Königin des Murmeltiers.«
    Matthew nickte.
    Eine halbe Stunde später stand mein Bett – Gestell samt Matratze – draußen, wenige Schritte von der Veranda entfernt.
    »Das ist eine alte Familientradition. Unter diesem Himmel werden Sie Schlaf finden.«
    Einen Moment fragte ich mich, wo wohl der Rest der Familie war, zu der jene Tradition gehörte. So hat anscheinend jeder seine Geschichte.
    In der ersten Nacht verlor das Wachen seinen faden Beigeschmack. Die Sterne, die Luft, ich weiß nicht, was es war. Das Gefühl der Hilflosigkeit schwand.
    Die zweite Nacht schenkte mir Phasen der Ruhe.
    Und in der dritten Nacht kam der Schlaf.
    Vierzehn Tage nach meiner Ankunft verließ ich The Green House und seinen einzigen Bewohner.
    Keine hundert Kilometer trennten Lake Daniel und die A Dozen Oaks Ranch in Throckmorton voneinander.
    Keine hundert Kilometer lagen zwischen mir und einem Wiedersehen mit Elsa Gröhler. Nein, Elsa Hinrich, sie war eine verheiratete Frau.
    A Dozen Oaks – das Messingschild über dem Torbogen glitzerte im Sonnenlicht. Rechts und links eine mit
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