Elsa ungeheuer (German Edition)

schlich leise hinaus.
    Untröstlich. Das Wasser schenkte mir keine Ruhe.
    Untröstlich. Ich zog mich aus der Wanne.
    Untröstlich. Windspiel kauerte neben mir auf den kalten Fliesen.
    Stein und Spiegel. Bald höre ich auf. Bald. Nicht heute. Aber bald.
    Untröstlich. Das Wort hämmerte gegen meine Schädeldecke. Ließ mich das ganze Ausmaß seiner Bedeutung erfassen. Gibt es denn etwas Traurigeres als einen Menschen, den nichts zu trösten vermag?
    Mehr Medizin. Mehr Medizin.
    Schatten zogen vorbei. Wölfe oder Hunde? Meine Fäuste wollten sie vertreiben. Aber Schatten fürchten keine Schläge.
    Meine eben noch boxenden Arme umschlangen meinen Bruder, auch er nur ein Gespenst. »Was machst du da?«, fragte eine körperlose Stimme.
    »Ich versuche, ein guter Mensch zu sein.«
    Lachen erfüllte den Raum.
    Mehr Medizin, mehr Medizin.
    Eine nachtblaue Bluse. Ihre abgesplitterten Scharlachnägel berührten meine Wangen.
    »Elsa?«
    Sie antwortete nicht.
    »Elsa, sag etwas, bitte.«
    Die Königin des Murmeltiers schwieg.
    Mehr Medizin. Mehr Medizin.
    Als ich meine Hand ausstreckte, um ihre wilden Haare zu streicheln, verschwand das Mädchen und nahm die Schatten mit sich. Der Hund und ich blieben allein zurück.
    Mehr Medizin. Bis keine Medizin mehr da war.
    »Windspiel, was machen wir jetzt?«
    Wir öffneten Türen. Und als wir alle Türen im Haus geöffnet und jedes Zimmer durchschritten hatten, stiegen wir in den Keller hinab. Neues Terrain, ein Abenteuer. Der unbewaffnete Krieger, sein Gefährte und die Wildnis. Eine Sauna. Ein eingepackter Billardtisch. Warum weinte ich? Weint man, wenn man den Verstand verliert?
    So leicht auf einmal mein Körper, so ruhig das Herz. Was tropfte da zwischen meinen Beinen? Ich konnte im Gehen pinkeln. Magie.
    »Aber nicht auflecken, Windspiel. Wir müssen weiter. Türen öffnen.«
    Koffer. Leere Koffer. Gartenmöbel. Ein Rahmen aus Elsbeerholz, 363   Zentimeter hoch und 473   Zentimeter breit, mit einer Plakette am unteren Rand: Mai 1999 – Mai 2000.
    Treppauf. Licht an.
    »Mrs.   Graham. Sie – Sie haben die erste Lizenz gekauft! Die zweite auch?«
    Irina richtete sich in ihrem Kinderbett auf und musterte mich.
    »Du bist nackt, du blutest, und ein Hund ist im Zimmer. Zieh dir etwas an, wasch dein Gesicht und raus mit dem Köter.«
    »Mrs.   Graham. Was – ich verstehe nicht. Warum?«
    »Warum, was?«
    »Warum… Ist denn…? Ich meine, was ist…?«
    Sie seufzte. »Da liegt ein Bademantel.«
    Ich hängte mir das fliederfarbene Stück Stoff über die Schultern und setzte mich auf den Stuhl.
    »Würdest du bitte deinen Penis bedecken.«
    Ich tat wie geheißen.
    »Danke… Mein lieber Karl, die erste Lizenz wäre, wenn wir nicht mitgeboten hätten, für 15   000   Dollar verkauft worden. Die zweite immerhin für 20   000. Das ist nichts. Die Presse liebt deinen Bruder. Ja. Aber der Chefredakteur des Artfact Magazine lässt sich seine Liebe teuer bezahlen. Die anfängliche Euphorie war nicht mehr als ein Strohfeuer. Vera und ich haben uns verschätzt.«
    »Verschätzt?«
    »Es hat nicht funktioniert.«
    »Weiß Lorenz das?«
    »Ja.«
    »Seit wann?«
    »Vera hat es ihm in New York gesagt.«
    »Und?«
    »Wir machen weiter, bis es zu Ende ist.«
    »Mirberg oder er, ja? Weiß er das auch?«
    Irina nickte.
    »Und das…das nimmt er einfach so hin?«
    »Hat dein Bruder im Moment nicht ein schönes Leben? Erfolg, Geld und Vera?«
    »Ich dachte, es geht um die Ewigkeit und nicht um den Moment.«
    Der Bademantel glitt zu Boden.
    »Warte«, rief Irina, als ich schon im Türrahmen stand. »Es gibt noch ein drittes Ende.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Du hast mich gehört. Gute Nacht, Karl.«
    Ich hatte sie gehört, aber nicht verstanden.

4
     
    Nach einigem Umherirren in den Hallen des Dallas – Fort Worth International Airport fand ich eine Autovermietung.
    Sam nannte mich Sir und zeigte mir, wie man die Rückbank des Chevrolet Tahoe zurückklappen konnte.
    »Sieben Personen haben bequem Platz, Sir«, sagte er stolz und strahlte.
    Wie viel wiegt die Abwesenheit eines kleinen Brockens, aus dem Bröckchen, aus denen Pulver wird? Ich trug eine zentnerschwere Last in meiner leeren Hosentasche.
    Noch in derselben Nacht hatte ich Windspiel in die Obhut des Gärtners gegeben und Irina Grahams Haus verlassen.
    Bald war jetzt.
    Karl Brauer reiste allein, aber Sams Freude war so ansteckend, dass ich eine tiefe Befriedigung empfand, als ich das Sieben-Menschen-Wunder Richtung Interstate 20