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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Aufrichtigkeit zu überzeugen. Sie lächelte, kurz, aber sie lächelte.
    Wir hatten sein Kommen beide nicht bemerkt. Lautlos die weichen Sohlen seiner Laufschuhe. Auf Gustav Gröhlers Stirn pochte eine dunkle Ader, halb verdeckt von einem Schweißband. »Das darf doch nicht wahr sein!«, stieß er aus. »Du gibst mir jetzt sofort die Krawatten, Fräulein!«
    Elsa wich ein Stück vor ihrem Onkel zurück.
    »Vielleicht konntest du dich bei deiner Mutter so aufführen, aber nicht bei uns. Ich warne dich!«
    Sie sagte nichts, schüttelte nur heftig den Kopf.
    Seine rechte Hand packte einen ihrer dünnen Mädchenarme. Vergeblich versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien, wand sich wie ein gefangenes Tier.
    »Lass sie los. Du tust ihr weh. Du tust ihr doch weh.«
    Er hörte mich nicht oder wollte mich nicht hören. Seine linke, versehrte Hand machte sich an Elsas Bandagen zu schaffen. Wütende Tränen liefen über ihre Wangen. »Nein, nein, nein«, flehte sie, aber er fuhr ungerührt fort. Riss und zerrte an dem bunten Stoff. Und dann zog er von dannen mit Elsas Bändern, die sich als sechs Krawatten entpuppt hatten.
    Entsetzt starrte sie auf ihre nackten Waden, als ob sie voller Blut und Eiter wären. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, nur dass ich irgendetwas tun musste. Für Elsa, die wie ein Schlachtfeld aussah.
    »Komm«, sagte ich. Sie fragte nicht, wohin.
    Um diese Uhrzeit hielt Frau Kratzler ihren Mittagsschlaf.
    Es war totenstill im Haus, bis Elsas Holzclogs die Treppe zum Leben erweckten.
    Ganz oben angekommen, klopfte ich an die vorletzte Tür auf der linken Seite. Das Murmeltier wippte in seinem Schaukelstuhl, den Hanna ihm vor einigen Jahren geschenkt hatte.
    »Das ist Elsa. Elsa Gröhler«, sagte ich. »Sie braucht Krawatten.«
    Das Murmeltier lächelte. »Krawatten?«
    »Ja. Für ihre Beine. Gustav hat ihr seine weggenommen. Und…«
    »Ich schnüre sie mir um die Fesseln und Waden, damit sie dünn werden. Wie bei Adligen«, unterbrach Elsa mich.
    »Verstehe. Schauen wir mal, was wir da tun können.« Das Murmeltier durchforstete den Kleiderschrank, und als er fertig war, lag ein ganzer Stoffberg auf dem Boden. Ich wurde nach unten geschickt, um Nähzeug zu holen.
    Elsa hatte ihre Wahl getroffen: viel Grün, ein wenig Blau und ein Hauch von Rot. Mit Nadel und Faden flickte das Murmeltier jeweils drei Krawatten zu einem langen Band zusammen. »Zufrieden?« Er überreichte Elsa ihre neuen Gamaschen.
    Für einen Moment wich alle Härte aus ihrem Gesicht, und die Mundwinkel schnellten nach oben.
    »Kannst du sie mir richtig fest drumwickeln, Murmeltier?«
    Sie setzte sich in den Schaukelstuhl, er kniete vor ihr, und auch ich durfte helfen. Niemals habe ich etwas Schöneres in meinen Händen gehalten als Elsas eiskalte Füße.
    Ich begleitete sie nach Hause. Die Gröhlers wohnten imKranz-Weg. Die Hauptstraße runter und an der ersten Ecke rechts rein.
    Der weiße, bungalowartige Bau, dessen Garten an zwei Maisfelder grenzte, stand auf einer Anhöhe.
    Hubertus und Gustav waren immer so etwas wie Vorbilder für mich gewesen. Zwei Brüder, die zusammenlebten.
    Gustav war zweifelsohne der schillerndere Part des Gespanns, zumindest in den Augen eines achtjährigen Jungen. Er war sportlicher, stärker und größer als Hubertus, er hatte schöneres Haar und trug niemals dunkle Anzüge – die Standarduniform seines älteren Bruders. Gustav war Sportlehrer am städtischen Gymnasium, was mir irgendwie weltmännisch erschien. Und Hubertus nur Schuldirektor unserer Grundschule, die vor fünfzig Jahren noch als Kuhstall gedient hatte.
    Nachdem Mathilde samt Elsa mit dem Schweizer davongefahren war, hatte Gustav seine Wohnung in der Stadt aufgegeben und war zu seinem Bruder gezogen.
    Elsa kannte ihren Vater und ihren Onkel bereits aus einigen Sommerurlauben, die die Gröhler-Brüder gemeinsam mit ihr, Mathilde und Viktor am Gardasee verbracht hatten.
    Auf wessen Betreiben diese Patchwork-Ferien zustande gekommen waren, wusste Elsa nicht.
    Als wir vor dem grüngestrichenen Zaun standen, der die Vorderseite des Grundstücks umgab, packte sie mich am Arm.
    »Denk an das Geld, Fetti, ja?«
    »Mach ich.«
    Sie drückte meinen Arm so fest, dass es weh tat. »Und… danke für…«
    »Ist schon gut.«
    Sie ließ mich los und stapfte den Hügel hoch.
    »Elsa! Kommst du morgen mit uns schwimmen? Ich warte auf dich, auf der Brücke. Ja? Ich werde dort warten«, rief ich ihr nach.
    Sie drehte sich um und streckte mir die Zunge
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