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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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feindselig gegenüber. Ihre Augen musterten den Körper des anderen. Ich war nicht mehr als ein Zaungast, verdammt, zu beobachten. Unfähig, einzugreifen, sollte etwas Schreckliches geschehen.
    »Elsa«, sagte sie schließlich und reichte Lorenz die Hand.
    »Lorenz«, antwortete er und ergriff ihre Rechte.
    Elsas schlampig lackierte Scharlach-Nägel krallten sich in Lorenz’ Fleisch. Seine Finger konterten, drückten mit aller Kraft zu. Ihren Gesichtern waren die Schmerzen, die sie sich zufügten, nicht abzulesen. »Kannst du überhaupt schwimmen?«, fragte Lorenz, ohne ihre Hand loszulassen.
    »Ja.«
    »Sollen wir gehen?«
    »Ja.«
    Lorenz marschierte voran, hinter ihm Elsa, ich bildete die Nachhut. Immer wieder beschleunigten zuerst Lorenz und dann sie ihren Schritt. Ich hatte Mühe mitzuhalten. Ab und zu drehte Elsa sich um und rief: »Schneller, Karl.« Zu meiner Erleichterung nannte sie mich in seiner Gegenwart nicht Fetti. Und zu meiner Enttäuschung hatte sie die gekämmten Haare, das erste Opfer, das ich ihr darbrachte, nicht bemerkt.
    Stolz präsentierten wir ihr die Lichtung. Ein Lächeln, das sie nie ganz freiwillig zu schenken schien, huschte über ihr Antlitz. Während Lorenz in Windeseile seine Anziehsachen ablegte, zögerten sowohl Elsa als auch ich. Und wie so oft verließ meinen Bruder die Geduld, und er rannte ins Wasser. Sobald er außer Hörweite war, packte Elsa mein Handgelenk.
    »Und, Fetti, hast du das Geld?«
    »Noch nicht.«
    »Du wirst es nicht vergessen, oder?«
    »Nein, nein.«
    »Gut«, sagte sie und streifte sich die rote Spitze über den Kopf. Der schwarze Bikini schlackerte an ihrem Körper. Nur die Krawatten saßen richtig.
    »Mach schon, Fetti«, drängte sie.
    Schuhe, Socken, Shorts, T-Shirt, und dann bedeckte nur noch die lächerliche, mit Delphinen bedruckte Badehose meinen Leib. Im Sonnenschein, unter Elsas Blick, spürte ich zum ersten Mal das ganze Ausmaß meiner Unzulänglichkeit.
    Lorenz sprang zwischen dem Schilf hervor.
    »Willst du so ins Wasser?«, fragte er Elsa und deutete auf ihre Gamaschen.
    »Ja.«
    »Du wirst nicht besonders schnell sein. Der Stoff wird schwer, wenn er nass ist.«
    »Werden wir ja sehen, wie schnell ich bin.«
    Elsas Bewegungen erinnerten an ein ertrinkendes Tier. Ungelenk und hektisch – keine Technik, aber ein Wille, der sie mit Lorenz gleichauf ziehen ließ. Ich planschte dort, wo ich noch stehen konnte, versuchte erst gar nicht, an ihrem Wettkampf teilzunehmen. Mal war der eine vorne, dann wieder der andere, und mein Herz wusste nicht, wen es anfeuern sollte. Als sie das dritte Mal den See durchquerten, lief ich zurück zu unseren Handtüchern. Ich wollte den Sieger nicht beglückwünschen müssen.
    Ich wartete und wartete. Würden sie weitermachen, bis einer ertrank? Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und ging zum Ufer. Auf Zehenspitzen stehend, suchte ich den See ab. Entdeckte nur eine Handvoll Urlauber. Kein Bruder, kein Mädchen. Panik ergriff mich. Sollte ich schreien? Hilfe holen? Ins Wasser springen?
    Es raschelte im Schilf. Die Halme bewegten sich.
    »Lorenz, Elsa? Seid ihr das?«
    Stille.
    »Lorenz? Elsa?«
    »Wir kommen.« Die Stimme meines Bruders. Welch eine Erleichterung.
    Elsas Bikini und auch die Krawatten waren verrutscht, ihre nassen Locken reichten fast bis zur Hüfte. Sie atmete schnell. Hinter ihr kam Lorenz zum Vorschein.
    ›Von der Sonne geküsst‹ heißt es manchmal in kitschigen Gedichten. ›Von der Sonne geküsst‹, es gibt keinen Ausdruck, der meinen Bruder besser beschreiben würde. Sommer wie Winter schien seine Haut zu leuchten.
    Ich lag zwischen Lorenz und Elsa. Sie hatte die Bänder zum Trocknen ausgezogen und das rote Kleid schützend über die Waden drapiert. Ihre Hände betasteten den Waldboden, sammelten, was sie zu fassen bekamen. Kleine Stöckchen, Grasbüschel und Steine wanderten in ihr Bikini-Oberteil. Ich half mit, reichte Elsa Moos und einen besonders großen Tannenzapfen. Als der Busen fertig war, richtete sie sich auf.
    »In drei oder vier Jahren werde ich so aussehen… Und dann hau ich hier ab.«
    »Und wohin?«, fragte Lorenz nicht ohne Hohn.
    »Keine Ahnung.«
    »Aber deine Mutter und Viktor kommen doch irgendwann zurück und holen dich«, sagte ich.
    »Glaubst auch nur du.«
    »Du nicht?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hasse es hier.«
    »Und warum haust du dann nicht jetzt gleich ab?«, wollte Lorenz wissen.
    »Weil sie Kinder sofort wieder einfangen.«
    Frau Kratzler lehnte es
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