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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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entschieden ab, uns in den Jagdhof zu begleiten. Die alte Wirtin war laut unserer Haushälterin ›ein korruptes Frauenzimmer‹, der Mann ›ein Taugenichts‹ und Mathilde ›eine Gefallene‹.
    »Sie sieht jedenfalls entzückend aus«, sagte das Murmeltier, als die Kratzlerin sich über die Wiesinger-Tochter echauffierte.
    »Entzückend?! Sie kannten sie ja nicht richtig.«
    »Aber Mathilde ist doch gar nicht mehr da.«
    »Trotzdem.«
    »Dann müssen wir heute Abend auf Ihre Gesellschaft verzichten?«
    »Sonst werde ich doch auch nie gefragt.«
    Wir saßen zu viert in dem verwaisten Frühstücksraum und warteten auf Randolph, der sich oben im Badezimmer fertig machte.
    »Wahrscheinlich haben Sie recht, Frau Kratzler, wir sollten alle an unseren alten Gewohnheiten festhalten. Weitermachen wie bisher.«
    »Herzjesulein, was Sie wieder reden«, schnauzte sie.
    Im Jagdhof herrschte reger Betrieb. Frau Wiesinger begrüßte uns überschwenglich. »Herr Brauer, Herr Brauer, das sind traurige Zeiten«, seufzte sie und nahm die Bestellung auf. Noch ehe die Wirtin mit unseren Getränken zurückkam, tauchte Doktor Grievenhast mit drei Gläsern Marillenschnaps auf. Eins reichte er meinem Vater, eins dem Murmeltier, das letzte erhob er. »Brauer, Sie wissen, ich bin immer für Sie da. Lassen Sie uns anstoßen.«
    Zwei Minuten später erschien Pfarrer Lübbe und sagte ungefähr das Gleiche wie der Doktor. Anstatt Marillenschnaps gab es Wermut. Es folgten Fred Nesshauer mit gebrannter Birne, dann der Bäcker – wieder Wermut –, und so ging es weiter. Randolph nahm die tröstenden Worte und Schnäpse mit einem abwesenden Lächeln entgegen. Mein Vater war kein gefestigter Trinker. Hanna hatte den Rausch immer gefürchtet, und um ihr stets nahe zu sein, hatte auch er auf Hochprozentiges verzichtet.
    Die Tür ging auf, und augenblicklich verlagerte sich die Aufmerksamkeit von Randolph Brauer Richtung Eingang.
    Elsa, eskortiert von Hubertus und Gustav Gröhler, betrat die Gaststätte. Die meisten hatten Mathildes Tochter noch nicht gesehen. Unverhohlen musterte man sie, suchte in ihrem Gesicht sich selbst oder den Ehemann. Undankbar, wie Menschen nun einmal sind, löste Enttäuschung die eben noch empfundene Beruhigung ab, zumindest bei den Männern. Denn auch die schöne Mathilde – die Erinnerung an einen fiebrigen Nachmittag oder eine hitzige Nacht – konnten sie in diesem mürrisch dreinblickenden Kind nicht wiederfinden.
    Hubertus und Gustav hatten Elsa in ein schlichtes Kleid gezwängt und die langen, wilden Haare zu einem Zopf geflochten. Die Krawattenbänder hatten sie ihr gelassen und eine kleine Krokodillederhandtasche. Der Schuldirektor wirkte in seinem dunklen Anzug und mit der fahlen Haut fast wie eine Wachsfigur, wären da nicht die wulstigen, leicht bebenden Lippen gewesen. Gustav ging voran und lenkte die Gruppe zu unserem Tisch. Während die Gröhler-Brüder Randolph ein paar aufmunternde Worte spendeten, starrte Elsa zu Boden.
    »Guten Abend, junge Dame«, sagte das Murmeltier und deutete eine Verneigung an. Elsa wehrte sich mit aller Kraft, aber dann hob sie den Kopf und lächelte.
    »Möchten Sie sich zu uns gesellen? Wenn wir zusammenrutschen, wird es gehen.«
    »Danke, Herr Murmelstein, aber wir sitzen da hinten«, antwortete Gustav.
    Die Gröhlers entfernten sich, und mein Vater erzählte wieder von Den Haag, ähnlich konfus wie in der Nacht zuvor. Das Murmeltier versuchte durch gezielte Fragen ein wenig Klarheit in Randolphs Ausführungen zu bringen. Ich war voll und ganz damit beschäftigt, mich möglichst weit nach hinten zu lehnen, um Elsa im Auge zu behalten.
    Sie sah aus wie eine Gefangene zwischen den beiden Männern und weigerte sich offensichtlich, an deren Unterhaltung teilzunehmen. Vater, Onkel und ihren Apfelsaft ignorierend, zog Elsa eine Fliegersonnenbrille aus der Handtasche und setzte sie auf. Ich konnte den Protest von Gustavs Lippen ablesen, aber das Mädchen reagierte nicht.
    Die alte Wiesinger brachte uns das Essen. »Was für eine ungezogene Göre«, sagte sie und stellte die Teller ab. »Mathilde war ganz anders. Immer fröhlich, immer höflich.«
    Als wir aufgegessen hatten, kamen die Nesshauer-Kinder angerannt, um Lorenz und gezwungenermaßen auch mich zu einer Partie Billard einzuladen. Keiner von uns beherrschte das Spiel richtig, die Regeln änderten wir jedes Mal aufs Neue, und am Ende gewann immer die Mannschaft meines Bruders. Nicht nur ich, auch die Nesshauers bewunderten
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