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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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niemals alleine sein«, hatte sie immer wieder gesagt. »Warum?«
    »Weil ich Karl habe.«
    »Karl, du wirst niemals alleine sein. Warum?«
    »Weil ich Lorenz habe.«
    Und das war die Wahrheit. Wir hatten einander, wir waren nicht allein.
    Unser Vater versuchte sich aufzurichten, doch seine Füße wollten ihn nicht tragen, und so sank er wieder auf die Knie.
    »Was mach ich jetzt? Was mach ich jetzt nur?«
    Ich wusste nicht, ob er seine momentane Verlegenheit oder das große Ganze beklagte. Das Murmeltier eilte zu Hilfe und hievte unseren Vater auf die Beine.
    »Komm, Randolph, lassen wir die Kinder träumen.«
    »Luft, ich brauch Luft.«
    »Dann gehen wir an die Luft. Komm jetzt.«
    Lorenz und ich stürmten zum Fenster. Wenig später tauchten die beiden unten auf. Randolph löste sich aus den Armen, die ihn stützten, und rannte im Zickzack auf die Koppel zu. Er kletterte über die Balken, fiel zu Boden, rappelte sich hoch und lief weiter. Vor dem Stall, am äußeren Ende der Koppel, blieb er stehen und brüllte: »Ihr habt sie umgebracht. Ihr habt Hanna auf dem Gewissen! Das werdet ihr mir büßen! Hört ihr mich, ihr verdammten Ponys?«
    Auch unser Vater hatte einen, oder besser gesagt, drei Schuldige gefunden. Aber im Gegensatz zu uns hatte Hanna ihn nicht auf ihr viel zu frühes Verschwinden vorbereitet. Randolph Brauer war allein, und das war die Wahrheit.
    Wir erwachten spät am nächsten Morgen. Mein Bruder wischte sich den Schlaf aus den Augen. Während ich nach dem Aufstehen sofort hellwach war, brauchte er immer einige Minuten, um anzukommen.
    »Lorenz?«
    »Was?«
    »Kannst du mir die Haare kämmen?«
    »Kämmen?« Verwunderung klang in seiner Stimme.
    Ich nickte. Die Haare waren erst der Anfang. 160   Mark mussten her.
    Die Feriengäste beendeten gerade das Frühstück, als Lorenz und ich hereinkamen. Keinem war Randolphs nächtlicher Auftritt entgangen. Satzfetzen drangen an unsere Ohren. ›Verrückt‹, das Wort, mit dem man immer Hanna bedacht hatte, galt nun auch unserem Vater. Frau Kratzler schlich um die Tische und räumte das benutzte Geschirr ab.
    »Karl, deine Haare! Das arme Herzjesulein wird sich freuen… Du willst deinem Vater nicht noch mehr Sorgen machen, du braver Junge.«
    Zur Belohnung, oder um uns vor dem Getuschel der Gäste zu schützen, durften wir in der Küche essen. Dieser Raum war das Refugium der Kratzlerin und wir dort meist unerwünscht. Die Holzbank in der Nische gehörte zu unseren Lieblingsplätzen. Nebeneinander, im Schneidersitz, verschlangen wir unsere Brötchen.
    »Wo ist Papa?«, fragte Lorenz Frau Kratzler, die uns ohne zu murren eine zweite Tasse Kakao zubereitete.
    »Spazieren mit dem Esel und Herrn Murmelstein. Ihr müsst besonders artig sein… bis… bis er sich daran gewöhnt hat, dass sie nicht mehr da ist.«
    Wir schulterten die Schwimmbeutel und überließen der Kratzlerin unsere dreckigen Teller.
    Draußen schweifte mein Blick sofort Richtung Brücke. Elsa war noch nicht da. Von der anderen Seite näherten sich Randolph und seine zwei ungleichen Begleiter. Unser Vater sah elender aus als gestern Nacht. Er umarmte uns fest, dennoch breitete sich ein Gefühl der Fremdheit aus. Randolph wich einen Schritt zurück und betrachtete Lorenz und mich, als hätte er vergessen, wer wir eigentlich waren. Da standen wir, Hannas Mann und Hannas Kinder, aus dem Zusammenhang herausgerissen.
    »Ein heißer Tag heute«, sagte Randolph. Seine Standarderöffnung, wenn er mit den Feriengästen sprach.
    Lorenz und ich nickten. Im Gegensatz zu den Urlaubern wussten wir nicht, wie man die Wetterfloskel angemessen parierte.
    Das Murmeltier griff ein. »Kommt nicht zu spät nach Hause. Wir gehen heute Abend in den Jagdhof. Und jetzt lauft los, Kinder.«
    »Wann wollte sie denn hier sein?«, fragte Lorenz, als wir an der Brücke angelangt waren.
    »Jetzt gleich irgendwann.« Ich traute mich nicht zu sagen, dass sie mir keine Uhrzeit genannt, sondern lediglich die Zunge herausgestreckt hatte.
    Doch nur wenige Minuten später erschien sie. Ein ärmelloses rotes Kleid, oben mit Spitze besetzt. An einer Frau wäre es wohl kurz gewesen, aber dem Mädchen reichte es bis zu den Fesseln. Unter dem Saum lugten die Krawatten hervor. Das Knallen der Holzclogs erinnerte mich an die Stiefel, die Elsa so sehr wollte. Wie einen Hund an der Leine zog sie ihr weißes Badetuch hinter sich her. Der Staub der Hauptstraße hatte es bereits an einigen Stellen grau gefärbt.
    Lorenz und Elsa standen sich
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