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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp
Autoren: Theodor Fontane
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oben auf dem Schlosse gewesen, eine Liebe für sie gefaßt, und allwöchentlich schickte sie nach ihr, um eine Plauderstunde mit ihr zu haben. Und da wußte sie so vertraulich zu sprechen und so liebevoll zu fragen, daß Hilde jede Scheu vor ihr verlor und ihr alles sagte, was in ihrem Herzen war: Gutes und Schlechtes, Furcht und Hoffnung. Und die Aufrichtigkeit dieser Beichte rührte der Gräfin Herz, und wenn Hilde sie verlassen hatte, sah sie der langsam in den Talweg Niedersteigenden nach und sagte: »So sind die Wege Gottes. Eine Trübsal brachte dies Kind in unser Haus. Und nun ist es mein Glück und meiner Tage Licht.«
    Unter solchen Besuchen kam Weihnachten heran, und auf dem Schlosse war Bescherung, zu der auch Hilde geladen war. Und siehe da, noch eh es dunkelte, stieg sie den Schlängelweg zwischen den kahlen, aber dicht bereiften Bäumen hinauf und trat in die kleine gotische Vorhalle, darin alle Gäste, während die Gräfin den Aufbau leitete, bereits versammelt waren. Und nicht lange, so wurde das Zeichen gegeben, die Türen öffneten sich, und in langem Zuge ging es in den hohen und auf granitnen Pfeilern ruhenden Saal, der einen wundervollen Anblick bot. Inmitten desselben erhob sich ein mächtiger, aber dunkler und nur mit goldenen und silbernen Nüssen überdeckter Weihnachtsbaum, eine mehr als zehn Fuß hohe Tanne, während alles Licht, das den Saal füllte, von einer Krippe herkam, die mitsamt dem weißgedeckten Bescherungstisch, auf dem sie stand, in die Front der hohen Balkontür gerückt worden war. Unmittelbar darüber aber sah man in halbem Dämmer die Wolken ziehen.
    Unter den Gästen waren wieder einige der jungen Offiziere, die damals auf dem Balkon gesessen und die Melcher Harmsschen Bemerkungen über Hilde mit allerlei kleinen und großen Bosheiten begleitet hatten. Auch heute versäumten sie nicht, an einem so dankbaren Thema sich neu zu divertieren, und musterten aus einer verdeckten Aufstellung her, die sie genommen, die junge Frau, die sich ihrerseits anspruchslos zurückhielt, aber keine Spur von Verlegenheit zeigte.
    »Die Trauer kleidet ihr«, sagte der eine.
    »Trauer kleidet immer. Und die hübscheste Braut verblaßt vor einer hübschen Witwe. Woran es nur liegt?«
    »Eben an der Trauer. Es ist das doppelt Verbotene... ›Himmlische Liebe‹, prophezeite der alte Schäfer damals. Ob er wohl recht behält?«
    »Ich glaube fast. Sie sähe sonst verlegener aus.«
    Unter Scherzen und Wendungen wie diese ging das Gespräch, eine halbe Stunde später aber war alles still geworden. In dem Kamin fielen die Scheite zusammen, und Hilde, die wohl wußte, daß die Gräfin ihr gern zuhörte, plauderte von ihrem ersten Weihnachtsabend in des Heidereiters Haus und von der Krippe, die Martin ihr damals aufgebaut habe. Und wie glücklich und wie benommen sie gewesen sei, denn sie habe den Lobgesang der Engel mit leibhaftigem Ohre zu hören geglaubt.
    Und als sie so sprach, loschen die Lichter aus, und es dunkelte durch den Saal.
    Aber in demselben Augenblicke fast zerstreute sich draußen das Gewölk, das in endlos langem Zuge vorübergezogen war, und im tiefen Blau des Himmels erschien ein Stern und sandte sein friedlich Licht auf die Stelle, wo die beiden standen.
    »
Unser
Stern«, sagte die Gräfin und wies hinauf.
     
    Und von Stund an wandelte sich Hildens Herz; alle Schwermut fiel von ihr ab, und die Freude, soviel sie davon jemals besessen hatte, blühte wieder in ihr auf. Eine Sehnsucht freilich blieb ihr; aber diese Sehnsucht beschwerte nicht mehr ihren Sinn, sondern hob ihn empor, und sie, die müd und matt gewesen war ihr Leben lang, sie wurde jetzt stark und frisch und froh, und ein tiefes Verlangen erfaßte sie, zu tun und zu schaffen, zu helfen und zu heilen. Und in werktätiger Liebe begründete sie zum zweiten Mal ihr Haus.
    All das erlebte Sörgel noch. Aber die rechte Schaffenslust erwuchs ihr doch erst, als der Alte zu seinen Vätern versammelt und statt seiner ein »Frommer« in die Pfarre gekommen war, der, trotzdem er Borstelkamm hieß und zu den Strenggläubigsten zählte, doch zugleich in solcher Freudigkeit und Milde des Glaubens stand, daß er selbst Grissel entwaffnet und zu der Anerkennung hingerissen hatte: »Hür, Joost,
de
versteiht et. De is Sörgel un Melcher all in een.«
    An ihn schloß sie sich in einer mit jedem Tage wachsenden Hingebung und Begeisterung an, und von ihm auch war es, daß sie den Zusammenhang alles Geschehenen in Erfahrung brachte:
wie
der
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