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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp
Autoren: Theodor Fontane
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in seinen jungen Jahren von seiner Mutter immer wieder und wieder erzählt worden war, er sei klein und dürftig und überhaupt ein schwächliches Kind gewesen. Und so stand ihm denn fest, daß ihm der alte Schliephake, den er von seiner großen Krankheit her schätzte, nicht bloß einen guten Rat, sondern auch einen guten Trost geben werde. Warum sollt es denn auch ein schwächliches Kind sein?
    An der Ilsenbrücke war ein Wirtshaus mit einem an einem Arm hängenden Schilde, darauf ein goldener Ritter mit geschlossenem Visier abgebildet war. Mutmaßlich ein alter Emmeroder Graf. An diesem Wirtshause hielten sie, stiegen ab und gingen nach einer kurzen Zwiesprach mit der Wirtin auf des Doktors Haus zu, das in nächster Nähe gelegen war.
    Sie fanden ihn in einer Hinterstube, gerade damit beschäftigt, über den Hof hin einen ganzen Regen von Gerstenkörnern auszustreuen. Denn er war ein leidenschaftlicher Tauben- und Hühnerzüchter, und wenn die zwei jungen Hähne, die den Hof beherrschten, die Glucken und Küken nicht nahe genug heranließen, so griff er in eine neben ihm stehende Schüssel mit Kartoffeln und Mohrrüben und warf die Stücke mit solcher Geschicklichkeit nach den allzu Zudringlichen, daß sie, kollernd und krähend, auf ein paar Augenblicke das Feld räumten. Er nannte das seinen »Schutz der Witwen und Waisen« und verschwor sich hoch und teuer, daß die ganze Welt in derselben Weise regiert werden müsse.
    Die Bocholtschen Eheleute hatten nach einer halb herzlichen, halb verlegenen Begrüßung am Speisetische Platz genommen, und Hilde säumte nun nicht länger, unter einem Strome von Tränen alles vorzutragen, was ihr das Herz bedrückte. Baltzer wollte verbessernd dazwischensprechen, aber der Doktor wies ihn mit einer leisen Handbewegung zurück und sagte: »Nicht doch, Bocholt. Eine Mutter sieht immer am besten. Und jedenfalls besser als ein Vater.« Und danach nahm er das Kind aus den Kissen und behorchte seinen Atem und den Schlag seines kleinen Herzens, ganz wie Melcher Harms es seinerzeit getan hatte.
    Das waren erwartungsvolle Minuten. Endlich aber gab er das Kind an Hilde zurück und sagte: »Geht ins Freie mit ihm, liebe Frau. Die Luft ist zu schwül und zu drückend hier. Und Luft ist alles für das Kind. Ich will aber doch etwas aufschreiben, zur Erleichterung, und es Eurem Manne geben... Er kommt Euch dann nach.«
    All das klang ihr nicht gut und trostreich, und sie sah wohl, daß er allerlei Dinge zu sagen hatte, die sie nicht hören sollte. Sie ging aber, und als Schliephake, der ihr mit dem Ohre gefolgt war, die Haustür ins Schloß fallen hörte, schob er seinen Stuhl näher an Baltzer heran und sagte: »Ich wollt erst Eure Frau forthaben; Ihr aber, Bocholt, Ihr müßt es hören können... Es muß sterben.«
    Baltzer Bocholt fuhr zusammen und sagte dann, indem seine Stimme stotterte: »Warum sterben?«
    »Weil es kein Leben hat. Es ist welk, so welk, daß jede Stunde Leben ein Wunder ist.«
    Aber das gefiel dem Heidereiter nicht, der ein dünkelvoller Mann war und in seinem Dünkel auch auf seine Kraft und Kernigkeit große Stücke hielt. Und er antwortete mit sichtlicher Verstimmung: »Ich bin ein gesunder Mann, Doktor, und hab eine junge Frau.«
    Schliephake lächelte vor sich hin und sagte, während er seine Hand vertraulich auf des Heidereiters Knie legte: »Wohl, ich seh schon, es mißfällt Euch, und Ihr hört nicht gern von dem welken Kind. Aber daß ich's Euch sage, Baltzer Bocholt, mit unserer Kraft ist nichts getan, und ist nicht besser damit als mit unserem Wissen. Alles ist Stückwerk und nichts weiter.«
    Er schwieg eine Weile. Als er aber wahrnahm, daß ihn der Heidereiter immer noch verwundert ansah, nahm er wieder das Wort und sagte: »Ja, Baltzer Bocholt, Ihr starrt mich an. Aber seht, unsere Stunden sind nicht gleich, und an der Stunde hängt alles. Und oft auch am Augenblick. Ihr seid ein rüstiger Mann, und Eure fünfzig haben Euch noch nicht viel getan. Es stimmt noch in Brust und Rückgrat, und von dem bißchen Grau sprech ich nicht, das kleidet Euch. Aber wie steht es
hier?
« und dabei stieß er leise mit dem Finger auf Baltzer Bocholts Herz.
    Der verfärbte sich.
    »Und«, fuhr Schliephake fort, »wie steht es mit Eures
Weibes
Herz? Ihr sollt mir die Frage nicht beantworten, und vielleicht auch
könntet
Ihr's nicht. Denn wer liest in anderer Leute Herzen und nun gar in eines Weibes Herz! Aber das will ich Euch sagen: auf das
Herz
kommt es an; das Herz
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