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218 - Nefertari

218 - Nefertari

Titel: 218 - Nefertari
Autoren: Christian Schwarz
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Haus des Lebens im Tempel des Amun
    Theben, 1298 v. Chr., 16. Tag des 2. Monats der Überschwemmungszeit
    Ramses hatte sich heimlich angeschlichen. Der vierzehnjährige Erbprinz, der von seinem Vater schon seit Jahren systematisch auf die Thronfolge vorbereitet wurde und neben vielen anderen wichtigen Ämtern Herr über die Fußtruppen und die Wagenlenker war, kauerte hinter einer Säule. Gespannt blickte der Junge auf die Klasse aus zehn Jungen und vier Mädchen, die sich im Schatten einer mächtigen Sykomore um ihren Lehrer versammelt hatte. Sie alle wollten Ärzte werden, doch das Interesse des Kronprinzen galt lediglich einer einzigen Person.
    Nefertari, wie er aus den fruchtbaren Lenden des großen Sethos entsprungen, aber nicht annähernd so vornehm wie er, saß vorne in der Mitte. Wie die anderen kratzte sie mit einem Gänsefederkiel die heiligen Zeichen in eine Tontafel, um die Geschichte, die der alte Lehrer Thotmes diktierte, möglichst fehlerfrei wiederzugeben.
    Ramses lächelte spöttisch. Er hasste die ganze widerliche Sippschaft, die sich Priesterschaft des Amun nannte, weil sie verlogen und ketzerisch war und ständig Intrigen spann, vor denen sich sogar Vornehme in Acht nehmen mussten. Doch Thotmes, der auch sein Lehrer gewesen war, hatte er immer gemocht. Die Geschichten, die der alte Glatzkopf jetzt erzählte, bestanden exakt aus jenen Worten, mit denen er auch ihn schon ergötzt und weiser gemacht hatte. Und vor ihm viele Generationen anderer Schüler.
    Leise murmelte Ramses den Text mit. Dabei ließ er seine Augen keinen Moment von Nefertari, die ihre Feder so geschickt führte wie kein anderer der Schüler. Was den Jungen aber noch mehr interessierte, war das lange durchsichtige Kleid, das sich wie ein morgendlicher Nebelhauch über dem Nilschilf um Nefertaris schlanken Körper legte. Darunter trug sie nichts mehr als ihre helle Haut, kleine knospende Brüste und erste schwarze Haare über ihrer Scham.
    »O ihr Götter Thebens«, flüsterte Ramses, der sich nicht gegen die ständig zunehmende Spannung im Zentrum seiner Lenden wehren konnte und es auch nicht wollte. »Sie ist tatsächlich die Schönste von allen. Selten war ein Name zutreffender als dieser. Ihre Augen sind so grün wie die Wasser des Nils in der Sommerhitze, ihr Körper so anmutig wie der des Kranichs. Bei den sieben Pavianen, ich werde sie zur Ersten Großen Königlichen Gemahlin machen, das schwöre ich beim schiefen Kinn meiner Mutter Kipa.«
    Thotmes kontrollierte die Texte und belobigte einzig Nefertari und Ptahor, den ältesten Sohn des Königlichen Schädelbohrers. Nur sie hatten fehlerfrei geschrieben. »Nun aber legt die Tafeln weg«, befahl der Lehrer. Er zeigte auf den dicklichen Ptahor. »Mach du den Anfang und erzähle mir aus dem Leben eines unserer großen Ärzte, so wie ich es euch beim letzten Mal als Heimaufgabe aufgetragen habe.«
    »Natürlich.« Ptahor, der als besserwisserisch, gelegentlich sogar rebellisch galt, räusperte sich und schaute grinsend in die Runde. »Ich habe mir die Memoiren des Arztes Sinut-Re ausgesucht, der dem Pharao Haremhab ein treuer Freund war und doch von diesem verstoßen wurde. Sinut-Re, der zweifellos als einer der größten ägyptischen Ärzte aller Zeiten gelten muss, beginnt seine Erzählung folgendermaßen…«
    Ramses sah, dass Thotmes besorgt die Stirn runzelte.
    »Ich, Sinut-Re, schreibe diese Geschichte nicht, um die Götter Kemets (altägyptischer Name für Ägypten) zu preisen«, fuhr Ptahor fort, »denn der Götter bin ich überdrüssig. Nicht, um die Pharaonen zu verherrlichen, denn auch ihrer Taten bin ich müde. Denn es sind die Taten von Menschen. Ja, ich zähle die Pharaonen zu den Menschen, denn sie sind in Hass und Furcht, in Begierden und Enttäuschungen wie wir. Zwischen ihnen und uns besteht kein Unterschied, und würden sie tausend Mal zu den Göttern gezählt…«
    Weiter ließ ihn Nefertari nicht kommen. Geschmeidig sprang die Prinzessin auf. »Schweig!«, schrie sie so laut, dass sich ihre Stimme fast überschlug. Wie eine Rachegöttin stand sie da, den Zeigefinger ihres ausgestreckten rechten Arms auf Ptahor gerichtet. Ihre grünen Augen funkelten. »Was nimmst du dir heraus, du kleiner verlauster Affe. Niemals werden Pharaonen wie deinesgleichen sein, Königinnen wie deine Mutter und Prinzessinnen wie deine Schwester. Deine Worte sind böse und ketzerisch und klingen nicht wohlfeil in den Ohren der Götter und Könige! Du wirst für deine Torheit
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