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Elke versteht das

Titel: Elke versteht das
Autoren: Wolfgang Brenner
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es ihn drei Stunden Fahrt nach Bad Bertrich
     kosten sollte.
    »Sieh mal, was ich hier gefunden habe«, sagte Elke, als sie das Frühstücksgeschirr abräumte. »Da ist es ja, dein teures Feuilleton.
     Unterm Sessel lag es.«
    Schmalenbach schaute nicht einmal auf. »Wahrscheinlich verwechselst du es mit den Stellenanzeigen«, sagte er mit der Kälte
     eines Menschen, der um die Untiefen der Existenz wusste.
    »Hier steht ganz groß Feuilleton drüber«, sagte sie trotzig.
    Schmalenbach drehte seinen Kopf nur ganz leicht. »Und was ist das, was ich gerade aufmerksam studiere, nachdem ich es aus
     deinem Mülleimer gezogen habe?«
    Elke riss ihm sein Feuilleton aus der Hand. »Siehst du nicht den Tomatensoßenfleck? Wann hatten wir das letzte Mal Tomatensoße?
     Im Winter. Und das Datum: 14.   Februar. Du vertiefst dich gerade in ein Feuilleton von vor vier Monaten.«
    Schmalenbach brauchte eine Weile, bis er begriff, dass es für die Riemenschneider-Ausstellung zu spät war. Bevor er die Wohnung
     verließ, bat er Elke noch, beide Feuilletons zu entsorgen. Es stand sowieso immer das Gleiche drin.

DAS LETZTE WIRKLICH GUTE JAHR
    Das auslaufende Jahr war nicht überragend. Das davor übrigens auch nicht. Wenn man es genauer besah, musste man feststellen,
     dass es schon lange kein wirklich gutes Jahr mehr gegeben hat. Also ein Jahr, aus dem Schmalenbach als strahlender Sieger
     hervorgegangen wäre.
    Was gab es an Silvester zu feiern? Dass das alte Jahr endlich vorbei war und ein neues begann? Wer konnte denn garantieren,
     dass das nächste Jahr nicht noch schlechter werden würde als die Jahre davor? Niemand. Also.
    Das letzte wirklich gute Jahr lag schon mindestens zehn Jahre zurück. 2000 war ganz nett. Da hatte Schmalenbach kurz mit dem
     Gedanken gespielt, sich von Elke zu trennen und noch mal neu anzufangen. Oder war das Jahr 1999 besser? Das war das Jahr,
     als Elke sich von Schmalenbach trennen wollte, es aber nicht getan hatte, weil ihre Mutter dagegen war. Wenn das nicht mehr
     zu entscheiden war, konnten aber beide Jahre so überragend auch nicht gewesen sein.
    »1997 oder 1998 ging’s mir richtig gut«, sinnierte Elke. »Da hatte ich noch Freude am Sex.«
    Als ob das das Maß für ein geglücktes Jahr wäre. WennSchmalenbach danach ginge, müsste er zurückgehen bis weit in die Achtzigerjahre. Damals herrschte aber noch Kalter Krieg.
     Da war das Leben auch kein Zuckerschlecken gewesen. Obwohl der Sex eindeutig besser war. Noch nicht so verkrampft und angestrengt.
     Damals tat man es einfach und zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was man falsch machen konnte.
    »Für uns Frauen wird es sowieso jedes Jahr schwieriger«, behauptete Elke. »Das Alter nagt intensiver an uns. Bei Männern merkt
     man das nicht so.«
    Immerhin sah sie das ein. Schmalenbach fand, dass er sich seit Anfang der Neunzigerjahre äußerlich kaum verändert hatte. Das
     machte seine optimistische Lebenshaltung. Wer mit Verstand und Zuversicht an die Probleme heranging, der alterte nicht so
     schnell.
    »Die Männer sehen schon mit fünfundzwanzig Jahren alt aus und haben Übergewicht, da fallen die folgenden Jahrzehnte nicht
     mehr so ins Gewicht«, behauptete allerdings Elke. »Während bei uns modernen Frauen aus biologischen und soziologischen Gründen
     der Alterungsprozess immer später einsetzt. Wir tun eben auch mehr für unser Wohlbefinden. Um so härter trifft es Frau dann,
     wenn es wirklich losgeht. Wenn die Malaisen kommen und sie nicht mehr so oft für ihre eigene Tochter gehalten wird.«
    Als ob das ein Kriterium für Lebensqualität wäre – dass man für die eigene Tochter gehalten wird. Da konnte Schmalenbach nur
     lachen. Ihm machte etwas viel Grundlegenderes zu schaffen: Der schleichende Verlust der Ideale. Ja, es gab keine Ideale mehr.
     Und nicht erst seit dem 11.   September 2001.   Diese Erosion hatte schon viel früher begonnen. Vielleicht sogar schon 1989, als der Osten zusammengebrochenund die Mauer gefallen war. Welche Utopien gab es denn danach noch? Gut, wenn er an Elkes Freunde aus Chemnitz dachte, die
     Jahr für Jahr zur Offenbacher Lederwarenmesse kamen (warum eigentlich?) und nichts Besseres zu tun hatten, als sich durch
     die billigen Hummerangebote im Rhein-Main-Gebiet zu schlemmen: Von Utopien konnte da wirklich keine Rede sein. Da hatte ja
     ein Germersheimer mehr Visionäres zu bieten – auch wenn er seit Mitte der Achtzigerjahre immer an dem gleichen Roman aus dem
     Dreißigjährigen
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