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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schatten erkennen, aber sie hatte sich ohnehin längst damit abgefunden, der alten Schamanin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Und da war nach wie vor das vollkommen grundlose, aber auch genauso sichere Gefühl, ihr vertrauen zu können. Ganz egal, was ihr Verstand auch dazu sagte.
    Schon um Lion keine Gelegenheit zu einer weiteren überflüssigen Bemerkung zu geben, da sie nur Zeit kosten und unnötig an ihren Nerven zerren würde, trat sie an Ixchels Seite und nickte ihr nun ihrerseits auffordernd zu. Die Hohepriestern bedachte sie abermals mit einem ihrer seltsamen Lächeln, in dem sie Trauer las, und jetzt ganz eindeutig auch Furcht, aber auch einen Ausdruck von Stolz, für den es absolut keinen Grund zu geben schien.
    Ixchel ging tatsächlich voraus, wenn auch nur zwei Schritte weit, dann streckte sie den Arm aus und schob die Dunkelheit einfach beiseite. Jedenfalls sah es im ersten Moment so aus.
    Mit einiger Mühe kämpfte Pia den Anfall von Hysterie nieder, den dieser Gedanke in ihr auslösen wollte, folgte ihr dichtauf und erkannte dann ihren Irrtum. Es waren Spinnweben, jahrhundertealt – viele Jahrhunderte! – und mit dem Staub und Schmutz all dieser Zeit so verkrustet, dass sie nicht nur das Licht verschluckten, sondern unter ihrer Berührung wie Tonscherben zerbrachen und sich in staubigen Explosionen auf dem Boden auflösten. Dahinter war Licht, grau und verwaschen, das sich auf eine unheimliche Weise bewegte, als wäre es lebendig, und in diesem Licht ...
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie dagestanden und in die gewaltige Höhle unter sich hinabgestarrt hatte, während sich ihre Augen nur ganz allmählich an das grünstichige Zwielicht zu gewöhnen versuchten. Ein warmer Lufthauch, der auf unbeschreiblich wohltuende Weise lebendig roch, strich über ihr Gesicht, und das flackernde Dämmerlicht stammte nicht von einer Fackel oder einem schmalen Schlitz in der Decke, sondern drang durch die gegenüberliegende Wand herein, die auf eine die Sinne verwirrende Weise nicht wirklich massiv zu sein schien. Sie war gute hundert Meter entfernt, wenn nicht weiter, und zwischen ihnen und der Wand lag kein fester Boden, sondern Wasser, das unter den schräg einfallenden Lichtstrahlen wie Teer glänzte. Und auf diesem Wasser ...
    »Das ... das ist euer großer Schatz?«, stammelte Lion. »Ihr … ihr habt einen … einen verdammten Krieg riskiert – deswegen ? «
    Selbst jetzt, da sie wusste, was sie sah, fiel es ihr schwer, es als Schiff zu erkennen. Es war schmal, klein – viel kleiner, als sie es erwartet hatte! –, vom Staub eines Millenniums bedeckt, der seine Farben ausgelöscht und seine Formen aufgeweicht hatte, und viel schlanker, als sie es jemals für möglich gehalten hätte. Die Ruder, einem Dutzend ausgestreckter Beine auf jeder Seite gleich ins Wasser getaucht, waren so mit Moosen und Schlingpflanzen bewachsen, dass es unmöglich war zu sagen, wo das Wasser aufhörte und das Schiff begann, und das mächtige Segel war schon vor einem halben Jahrtausend verschwunden unddurch einen nicht weniger großen Vorhang aus Spinnweben und verkrustetem Staub ersetzt worden. Das gesamte Schiff schien in einen Mantel aus Alterung gehüllt zu sein, über den unwirkliche Bewegung huschte, als versuchten sich die vergangenen Jahre auf diese Weise Aufmerksamkeit zu verschaffen. Da waren Schatten, wo es kein Licht gab, um sie zu werfen, und Bewegung, wo sich seit einem Jahrtausend nichts mehr geregt hatte. Einzig der riesige geschnitzte Drachenkopf reckte sich nach wie vor stolz in die Höhe, wie um all den heranstürmenden Jahrhunderten zu trotzen. Etwas ... Unheimliches ... ging von diesem Schiff aus, das ihr aber trotzdem keine Angst machte.
    »Das kann nicht dein Ernst sein, alte Frau«, sagte Lion noch einmal, als niemand antwortete. »Ihr habt nicht wirklich wegen dieses Wracks –«
    »Halt die Klappe, Jesus«, unterbrach ihn Pia. Selbst der Klang ihrer eigenen Stimme an diesem Ort kam ihr falsch vor; ein Frevel an einem heiligen Platz, der der Zeit und den Göttern vorbehalten war.
    Jesus hielt die Klappe und sah sie vorwurfsvoll an – und sei es nur, weil sie diesen Namen benutzt hatte.
    Pia wandte sich zu der alten Hohepriesterin um. »Das aber war es, was Eirann und Torman in der Stadt der Großen Schlange gesucht haben.«
    Ixchel nickte. Sie sagte nichts, aber in ihrem Gesicht arbeitete es, und Pia erkannte die Furcht in ihren Augen. Etwas würde geschehen, das wusste sie
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