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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nachdem sie dem Mittelpunkt der Erde näher sein mussten als ihrer Oberfläche, erreichten sie eine vierte Silberkammer, niedriger und schmaler, aber auch sehr viel länger als die anderen und im Grunde eher ein Tunnel als eine Kammer. Die Wände waren schwarz vom Alter, und die Luft so staubig, dass schon ihr bloßer Anblick zum Husten zu reizen schien. Überall hingen Spinnweben und graue Vorhänge aus jahrhundertealtem Staub, aber sie konnte die Unmengen von Silber spüren, die sich hinter diesem Panzer aus Dunkelheit und Alter verbargen. Ihr Gesicht und ihre Hände begannen schon bei der bloßen Vorstellung zu prickeln, diesen Tunnel auch nur zu betreten. So ähnlich, dachte sie, musste sich ein Schokoladenhase fühlen, den man gerade aufgefordert hatte, einen Spaziergang durch eine Mikrowelle zu absolvieren.
    Ixchel ging ein paar Schritte voraus und blieb in der Mittedes Raumes stehen, um sich unschlüssig umzublicken, wie es Pia vorkam, und Lion sprach zum zweiten Mal beinahe wörtlich das aus, was sie selbst nur zu denken wagte.
    »Hoffentlich hat sie sich nicht verirrt. Aus diesem Rattenloch finden wir nie wieder raus.«
    Statt zu antworten, sah Pia nur fast vorwurfsvoll auf ihre Stiefel hinab. Sie hatten bisher keine Einwände gegen den Weg erhoben, den sie eingeschlagen hatten, aber das Gefühl der Beruhigung, auf das sie wartete, wollte sich nicht einstellen. Stattdessen war da plötzlich eine dünne, aber hartnäckige Stimme in ihren Gedanken, die ihr die unerwünschte Frage stellte, wieso sie eigentlich so sicher war, dass sie den verdammten Dingern überhaupt trauen konnte. Wer sagte ihr denn, dass sie tatsächlich auf ihrer Seite standen?
    »Ganz langsam wird sie mir unheimlich«, murmelte Lion, als ihm nach einer Weile klar wurde, dass er keine Antwort bekommen würde. »Bist du sicher, dass wir ihr trauen können?«
    »Nein«, antwortete Pia.
    »Nein, du bist nicht sicher, oder nein, wir können ihr nicht trauen?«
    »Ganz genau«, antwortete sie.
    Lion starrte sie eine Sekunde lang finster an, zuckte mit den Achseln und betrachtete dann vorwurfsvoll den Schnitt in seinem Daumen. Er hatte längst aufgehört zu bluten, aber Pia sah, dass er tatsächlich sehr tief war. Trotzdem sagte sie in spöttischem Ton: »Ich hoffe doch, du fällst jetzt nicht ins Koma, mein großer Held.«
    Lions Miene wurde nur noch leidender. »Das war unheimlich, findest du nicht auch?«
    »Dass du dich geschnitten hast?« Pia lachte. »Onkel Esteban hatte einen guten Spruch für solche Gelegenheiten parat, weißt du: Dummes Fleisch muss weg.«
    Lion blieb ernst. »Mir ist es fast so vorgekommen, als ob sie genau wüsste, was passiert.«
    »Unsinn«, antwortete Pia. »Wenn man ein scharfes Messer am falschen Ende anfasst, dann schneidet man sich eben.«
    Ixchel kam zurück, und das Allererste, was Pia auffiel, war, wie unendlich müde sie aussah. Vielleicht hatte der Weg hier herunter sie doch mehr angestrengt, als sie bisher angenommen hatte. »Du musst dich noch einen Moment gedulden, mein Kind«, wandte sie sich an Pia, drehte sich dann zu Lion herum und zwang zumindest die Andeutung eines Lächelns auf ihr müdes Gesicht. »Ich hoffe, Ihr habt Eure schwere Verwundung inzwischen einigermaßen verkraftet, Ter Lion. Nicht, dass ihr mir am Ende noch ins Koma fallt.«
    Lion starrte sie an, und auch Pia hatte mit einem Mal ein wirklich seltsames Gefühl. Kein sehr angenehmes.
    »Aber wie ein guter Freund von mir vor sehr langer Zeit einmal gesagt hat: Dummes Fleisch muss weg.«
    So viel zum Thema unheimlich .
    »Es gibt eine Tür auf der anderen Seite«, fuhr Ixchel fort, »aber sie lässt sich nicht öffnen. Jemand muss sie aufbrechen.«
    »Kein Problem«, antwortete Lion, starrte aber weiter seinen lädierten Daumen an. »Wenn Ihr einen Vorschlaghammer für mich habt oder einen Zwerg, mit dessen Schädel ich sie einrammen kann.«
    »Das Scharnier auf der rechten Seite ist morsch«, antwortete Ixchel ungerührt. »Ein paar kräftige Hiebe mit Eurem Schwert sollten reichen. Beeilt Euch. Unsere Zeit läuft ab.«
    »Mach ich«, sagte Lion. »Und nur für die Zukunft, geehrte Ixchel: Ihr müsst nicht jeden Satz mit einer bedeutungsschwangeren Bemerkung ausklingen lassen. Es reicht vollkommen, wenn Ihr mir auftragt –«
    »Das zu tun, was Ihr am besten könnt, und einfach die Tür einzuschlagen?« Ixchel wirkte amüsiert. »Das wolltest du doch sagen, oder?«
    »Wortwörtlich«, sagte Lion verdutzt.
    »Warum tut Ihr es dann nicht
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