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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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liebend gern darauf verzichtet.
    Auch das Gesicht war nicht das, das ihr aus einem Spiegel hätte entgegenblicken sollen; ganz egal aus welchem. Es war schmal und hohlwangig und wirkte wie der gesamte Rest der Gestalt zugleich ausgezehrt und ungemein kräftig. Die Lippen waren so dünn, dass sie wie blasse aufgemalte Striche wirkten, hinter denen zwei Reihen winziger, nadelscharfer Piranha-Zähne blitzten, und die Augen erinnerten sie an die eines Schattenelben, nur dass sie unendlich viel boshafter und gnadenloser waren.
    Der Mann, der sich von hinten auf sie stürzte und sie brutal in die Höhe riss, sollte es nie erfahren, aber es war mitziemlicher Sicherheit dieser Anblick, der ihm das Leben rettete (auch wenn dieser Umstand nicht mehr allzu lange anhalten sollte), denn statt ihn zu packen und einfach quer durch das Zimmer zu schleudern – was sie gekonnt hätte –, starrte sie nur weiter den Spiegel an und ließ es einfach mit sich geschehen, dass er sie in die Höhe riss und brutal gegen den Türrahmen schmetterte. Sie registrierte nicht einmal wirklich den dumpfen Schmerz, mit dem ihr Hinterkopf gegen das Holz prallte und die kaum verschorfte Platzwunde wieder aufriss. Sie starrte weiter den Spiegel an, oder versuchte es wenigstens.
    Für eine halbe Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen, und als sich ihr Blick wieder klärte, war das Gespenst im Spiegel verschwunden. Sie sah wieder sich selbst, mit einem blinden Fleck dort, wo ihr Gesicht hätte sein sollen; und einen schwarzhaarigen Kleiderschrank von einem Kerl, der einen schlecht sitzenden Anzug trug und sie gegen den Türrahmen presste.
    Sie musste erst das Bild sehen, um den Schmerz zu spüren, den er ihr zufügte. Seine linke Hand, eine Pranke, die deutlich größer war als ihr Gesicht, umklammerte ihre Kehle und schnürte ihr nicht nur die Luft ab, sondern drückte auch mit nur zwei Fingern weiter ihren Kopf mit solcher Kraft gegen den Türrahmen, dass ihr allmählich übel vor Schmerz wurde. Mit der anderen presste er ihren Oberkörper gegen denselben Türrahmen, sodass sie wahrscheinlich auch dann keine Luft mehr bekommen hätte, wenn er ihr die Kehle nicht zugedrückt hätte. Das rechte Knie hatte er leicht angewinkelt, um ihre Beine zu blockieren, sodass es ihr unmöglich war, ihm das Knie zwischen die Schenkel zu rammen. Der Kerl war vielleicht brutal, aber nicht blöd. Oder er hatte Erfahrung in solchen Dingen.
    Irgendwo hinter ihm kam der zweite Bursche taumelnd in die Höhe. Vielleicht sagte er auch irgendetwas, aber Pia hörte nur ein unverständliches Nuscheln, das zusammen mit einer Menge Blut hinter der Hand hervordrang, die er vor Mund und Nase geschlagen hatte. Wenn der Kerl, der sie gepackt hatte, die Worteverstand, dann reagierte er nicht darauf. Pia konnte sein Gesicht nur im Spiegel erkennen, obwohl er ihr so nahe war, dass sie seinen Atem auf der Wange spüren konnte, denn er presste sie nach wie vor mit solcher Kraft gegen die Tür, dass sie den Kopf um keinen Millimeter bewegen konnte. Sie bekam auch immer noch keine Luft.
    »Na, wenn das keine Überraschung ist.« Seine Stimme klang unpassend hoch und dünn für einen so kräftigen und breitschultrigen Kerl wie ihn, und sein Atem roch nach Knoblauch. »Da will man nichts ahnend einen alten Freund besuchen, und plötzlich steht eine Nixe vor einem! Ist das Leben nicht manchmal wundervoll?«
    Allzu lange würde das nicht mehr so bleiben, jedenfalls nicht für ihn, wenn er sie nicht bald losließ. Pia konnte immer noch nicht atmen. Das Brennen in ihren Lungen wurde allmählich schlimmer als das Pochen in ihrem Hinterkopf, und das war nicht nur schlecht für sie, sondern vor allem für ihn. Ihre Hände waren frei. Er war ihr so nahe und presste sie mit solcher Kraft gegen die Wand, dass er sich anscheinend sicher fühlte, was gegenüber den allermeisten wohl auch richtig gewesen wäre.
    Pia beschloss, ihm noch drei oder vier Sekunden Zeit zu lassen, bevor sie ihn eines Besseren belehrte. Der Kerl hatte sie überrumpelt (was nicht hätte passieren dürfen) und wahrscheinlich etwas ziemlich Übles mit ihr vor, aber die Bedrohung, die er ganz zweifellos darstellte, erschien ihr nach wie vor seltsam und unwirklich. Sie starrte weiter den Spiegel an, und sie sah darin nichts als sich selbst und den schwarzhaarigen Angreifer. Das Gespenst war verschwunden – falls es überhaupt je existiert hatte.
    Endlich lockerte der Angreifer den Griff um ihre Kehle weit genug, um sie wenigstens keuchend
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