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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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überhaupt ein Mensch gewesen war.
    Eine weitere Minute verstrich, ohne dass Peralta das immer bedrohlicher werdende Schweigen brach, und als er dann endlich etwas sagte, musste Pia sich beherrschen, um nicht auf eine Weise zu reagieren, die ihm vermutlich nicht besonders gefallen hätte. Hätte Max sie nicht auf dem Weg hierher entsprechend vorgewarnt, wäre es ihr vielleicht nicht einmal gelungen.
    »Ich hätte dich mir anders vorgestellt, Pia«, sagte er. Seine Stimme war wahrscheinlich nicht von Natur aus ein so hohes, dünnes Fisteln, vermutete sie. Onkel José musste ein großer Fanvon Marlon Brando (in seinen vorgerückten Jahren) sein, oder er hatte den Paten ein paar Dutzend Mal zu oft gesehen. Ihr fiel auch jetzt erst auf, dass er sich nicht nur in einer typischen Don-Corleone-Haltung in dem schweren, thronähnlichen Stuhl hinter dem gewaltigen Schreibtisch fläzte, sondern sich auch um eine leicht heisere Sprechweise bemühte. Das Ergebnis war ziemlich lächerlich, aber Pia hütete sich, auch nur eine Miene zu verziehen. Dass der Kerl ganz offensichtlich einen an der Klatsche hatte, machte ihn eher noch gefährlicher.
    »Hübscher?«, fragte sie schüchtern.
    »Dümmer«, antwortete Peralta.
    »Dümmer?« Wie sah man denn bitte schön dümmer aus?
    »Dümmer«, bestätigte Peralta. Er bewies immerhin, dass er in der Lage war, seine Hände zu heben, indem er nach der schwarzen Pappschachtel griff, die zwischen ihnen auf der ansonsten spiegelblank leeren Schreibtischplatte lag, und sie nachdenklich in den Fingern zu drehen begann.
    »Ich habe das eine oder andere über dich gehört, Pia – ich darf doch Pia sagen?«
    Die korrekte Anrede lautet Prinzessin Gaylen , oder Erhabene , dachte Pia, aber diese Antwort wäre wohl nicht besonders gut angekommen. Sie nickte nur.
    »Wie gesagt, ich habe das eine oder andere über dich gehört, Pia«, setzte Peralta noch einmal an, »und ich dachte, dass du eigentlich ein ganz kluges Mädchen bist. Aber was du getan hast, das war nicht besonders klug.«
    »Ich weiß«, antwortete sie zerknirscht. »Und es tut mir auch leid. Ich wusste nicht, dass es Ihr Geschäft ist, das müssen Sie mir glauben. Jesus und ich hätten es niemals gewagt ...«
    Peralta hob eine Hand mit den fetten Stummelfingern und ungefähr einem Dutzend goldener Siegelringe. »Davon rede ich nicht. Es war dumm, nach ein paar Stunden schon wieder nach Hause zu gehen. Bist du gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich das Haus beobachten lasse?«
    Nach drei Stunden sicher, dachte Pia. Aber nach drei Wochen ? Vorsichtshalber behielt sie das auch für sich, und Peralta schien auch keine Antwort erwartet zu haben, denn er sah sie nur noch nachdenklicher an und fuhr fort: »Und je länger ich dich ansehe, desto weniger dumm kommst du mir vor, mein Kind. Dir muss schon klar gewesen sein, dass entweder die Polizei oder meine Männer auf dich warten könnten. Also frage ich mich, warum du dieses Risiko trotzdem eingegangen bist.«
    Pia antwortete auch darauf nicht, aber sie glaubte plötzlich die Blicke seiner vermeintlichen Neffen fast körperlich zwischen den Schulterblättern zu spüren. Die beiden hatten in bester Mafiafilm-Manier hinter ihr Aufstellung genommen und kein Wort gesprochen, seit Toni sie grob auf den Arme-Sünder-Stuhl vor dem gewaltigen Schreibtisch hinabgestoßen hatte. Das war auch gut so. Pia fragte sich, was Don Ich-wäre-ja-so-gerne-Marlon-Brando-José wohl gesagt hätte, wenn er gewusst hätte, dass sie sie praktisch in der Badewanne überrumpelt hatten …
    »Du hast also dort nach etwas gesucht, das wertvoll genug für dich ist, um dein Leben dafür zu riskieren?« José hielt das Kästchen in die Höhe. »Das hier?«
    Als sie auch darauf nicht antwortete, nahm er mit spitzen Fingern den Deckel ab und legte ihn sorgfältig vor sich auf den Tisch, bevor er hineingriff und zuerst die beiden Fotografien und dann den Ring herausnahm und sie nebeneinander und pedantisch ausgerichtet vor sich auf der Tischplatte drapierte. Eine geraume Weile begutachtete er sie sehr aufmerksam und wandte sich dann mit einem Stirnrunzeln an Pia.
    »Deine Mutter?«
    »Ich nehme es an.« Pia zwang sich, nur die beiden Bilder anzusehen, nicht den Ring. Irgendetwas sagte ihr, dass es nicht gut war, ihn so offen auf den Tisch zu legen.
    »Du nimmst es an?« Peralta beantwortete seine eigene Frage mit einem Nicken. »Ah ja, das hatte ich ganz vergessen … du hast deine Mutter ja nie kennengelernt, nicht wahr? Dann
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