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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bodenlos leichtsinnig und dumm sein können!
    Pia verschwendete ein paar Sekunden darauf, sich selbst in Gedanken mit einigen wirklich sehr ausgesuchten Unhöflichkeiten zu belegen, und konzentrierte sich dann noch einmal auf das akustische Universum ringsum. Das Schleifen wiederholte sich nicht, und sie hörte auch sonst nicht den mindesten Laut. Aber jemand war da. Oder etwas.
    Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Kleider, die unerreichbare drei Meter entfernt lagen, und erwog noch flüchtiger den Gedanken, das Risiko einzugehen und wenigstens ein paar Quadratzentimeter Stoff anzulegen. Nicht aus Schamgefühl, das ebenso unangebracht wie albern gewesen wäre, sondern weil sie sich in ihrer Nacktheit furchtbar verletzlich vorkam.
    Aber sie wäre zweifellos noch sehr viel verletzlicher und hilfloser, wenn jemand just in dem Moment hereinstürmte, in dem sie gerade dabei war, in ihre Hose zu schlüpfen.
    Sie sah sich noch einmal um und hielt diesmal nach irgendetwas Ausschau, das sie als Waffe benutzen konnte, entdeckte aber nichts, womit sie mehr Schaden anrichten konnte als mit bloßen Händen, und schlich schließlich auf Zehenspitzen aus dem Bad.
    Das Haus war so dunkel wie zuvor, und so vollkommen still, dass es schon beinahe unheimlich war. Wenn hier wirklich jemand war, dann musste er buchstäblich zur Salzsäule erstarrt sein – oder zumindest den Atem anhalten.
    Wenn es jemand war, der atmete.
    Die erste Tür, an der sie vorbeikam, führte in Alicas Zimmer. Sie musste nicht einmal das Ohr daran legen, um zu wissen, dass es leer war.
    Pia blieb noch einmal kurz stehen, lauschte ins Erdgeschoss hinab – sie hörte nichts – und runzelte dann überrascht die Stirn, als sie die nächste Tür betrachtete, die Tür zu ihrem eigenen Zimmer, aus dem sie vor ein paar Minuten erst gekommen war. Sie war vollkommen sicher, sie hinter sich geschlossen zu haben. Jetzt stand sie einen fingerbreiten Spalt weit offen.
    Pia erstarrte nicht nur zu vollkommener Reglosigkeit und hielt den Atem an, sondern zwang auch mit einer kleinen Anstrengung ihr Herz, langsamer zu schlagen, sodass das dumpfe Rauschen ihres eigenen Blutes in ihren Ohren verklang. Ein winziger Teil von ihr wunderte sich, dass sie so etwas konnte, aber der Gedanke erreichte nicht einmal wirklich ihr Bewusstsein. Unendlich langsam bewegte sie sich weiter, berührte lautlos die Tür mit den gespreizten Fingern der Linken und rief sich kurz das Zimmer auf der anderen Seite ins Gedächtnis zurück. Wer immer dort drinnen stand und auf sie wartete, würde sie von links angreifen müssen, wenn er überhaupt eine Chance haben wollte, sie zu überraschen, und das aus einem ganz bestimmten Winkel.
    Sie drehte den Oberkörper so, dass ein eventueller Angriff mit einiger Wahrscheinlichkeit ins Leere gehen oder sie zumindest nicht mit voller Wucht treffen würde, winkelte den linken Arm leicht an und sprengte die Tür mit einem Fußtritt nach innen. Noch bevor sie mit einem gewaltigen Knall gegen die Wand prallte, sprang sie hindurch, duckte sich leicht und riss den linken Arm weiter in die Höhe.
    Sie wurde nicht angegriffen, jedenfalls nicht von links. Jemandhatte auf sie gewartet, aber der Kerl war dämlich genug gewesen, auf der anderen Seite auf sie zu lauern. Jetzt kippte er halb bewusstlos hinter der Tür hervor, die ihm wohl mindestens die Nase gebrochen hatte.
    Noch während sie versuchte, die Bewegung anzuhalten, mit der sie auf ein Knie fallen und sich unter einem eventuellen Angriff wegducken wollte, hörte sie ein Geräusch hinter sich und begriff, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht wäre ihre Reaktion trotz allem noch rechtzeitig genug gekommen, hätte sie nicht zugleich eine schemenhafte Bewegung vor sich registriert.
    Nicht irgendwo vor sich. Nicht im Zimmer.
    Im Spiegel.
    Nur, dass es nicht ihr eigenes Spiegelbild war.
    Statt einer schmalen, geduckten Gestalt, die mit bis zum Zerreißen angespannten Muskeln halb auf dem Boden kniete, erblickte sie ein bleiches, ausgemergeltes Gespenst, nackt wie sie, aber aufrecht stehend und ohne erkennbare Geschlechtsmerkmale. Die Gestalt war sehr groß und so dürr, dass ihre Rippen und Hüftknochen durch die papierdünne Haut zu stechen schienen. Ihre Finger, die irgendwie zu dünn aussahen, endeten in langen Fingernägeln, die mehr wie Raubvogelklauen als irgendetwas anderes aussahen, und auch der blinde Fleck war nicht mehr da, sodass Pia das Gesicht des Spiegelbildes erkennen konnte.
    Sie hätte
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