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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eigentlich all die Zeit in ihrem eigenen Gestank ausgehalten hatte, oder, viel schlimmer: Wieso er ihr eigentlich nicht einmal aufgefallen war. Vielleicht hatte WeißWald tatsächlich irgendetwas mit ihrem Geruchssinn angestellt. Oder die Erklärung war vielsimpler: Es war ihr nicht aufgefallen, weil dort, wo sie gewesen war, jedermann so angenehm duftete.
    Aber wenn an ihrer Rückkehr in das, was die meisten Menschen für die Wirklichkeit hielten, überhaupt etwas Gutes war, dann der Umstand, dass sie zumindest daran etwas ändern konnte.
    Der Gedanke kam ihr selbst ein bisschen verrückt vor, aber auf der anderen Seite … warum eigentlich nicht? Sie hatte sich in all den Wochen in WeißWald kaum etwas sehnlicher gewünscht als ein heißes Bad, und zumindest für die nächsten zwei oder drei Stunden war sie in diesem Haus vermutlich sicherer als an jedem anderen Ort in der Stadt. Außerdem wurde es allmählich Zeit, dass sie in Ruhe über das eine oder andere nachdachte – und welcher Ort eignete sich dafür wohl besser als eine Wanne mit heißem Wasser?
    Kurz entschlossen ging sie ins Bad, fummelte so lange an den Reglern der altmodischen Mischbatterie herum, bis sie sie auf eine Wassertemperatur eingestellt hatte, die sie gerade noch als angenehm empfand, und kehrte dann noch einmal in ihr altes Zimmer zurück, um sich saubere Garderobe zurechtzulegen, während die Wanne volllief; selbstverständlich alles, ohne Licht zu machen. Sie war vielleicht wagemutig, aber weder leichtsinnig noch dumm.
    Sie vermied es auch diesmal ganz bewusst, den Spiegel anzusehen. Ein bisschen kam ihr das selbst albern vor, aber das Unbehagen, das ihr schon die bloße Vorstellung bereitete, noch einmal in den Spiegel zu sehen und vielleicht auch diesmal wieder nichts als einen verschwommenen Fleck zu erblicken, wo ihr Gesicht hätte sein sollen, überwog bei Weitem.
    Sie wählte einfache, aber robuste schwarze Jeans, ein dazu passendes Top und eine knapp sitzende, ebenfalls schwarze Lederjacke, die sie seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie ihre eigene Kleiderauswahl begutachtete – ohne ihr fast weißes, glatt bis weit über denRücken fallendes Haar hätte sie darin ein bisschen ausgesehen wie Lara Croft für Arme, dachte sie – aber sie blieb trotzdem dabei: Die Klamotten waren auf jeden Fall praktisch, und sie würde sich darin zum ersten Mal seit Wochen wieder angezogen fühlen, nicht verunstaltet.
    Bevor sie das Zimmer verließ, bückte sie sich noch einmal nach dem Kleid und durchsuchte gründlich sämtliche Taschen. Bis auf die kleine Pappschachtel mit dem Ring und den beiden geheimnisvollen Fotos fand sie nichts, was des Mitnehmens wert gewesen wäre. Sie legte das Kästchen sorgsam auf den kleinen Kleiderstapel, den sie für sich herausgesucht hatte, und inspizierte den Inhalt des Kleiderschrankes dann noch einmal gründlich – irgendetwas sagte ihr, dass sie nie wieder hierherkommen würde – fand aber auch hier nichts, was noch irgendwie brauchbar war. Der Großteil ihrer Kleider und fast ihre gesamte persönliche Habe befanden sich ohnehin in ihrer eigenen Wohnung am anderen Ende der Favelas, aber das Risiko dorthin zurückzukehren war noch viel größer als das hierhergekommen zu sein. Vielleicht in ein paar Tagen, wenn sich die erste Aufregung gelegt und die Polizei aufgehört hatte, nach ihr zu suchen. Und die Peraltas, nicht zu vergessen. Was wahrscheinlich ein bisschen länger dauern würde als nur ein paar Tage.
    Aber auch das war ein Problem, mit dem sie sich später befassen würde, wenn sie ein wenig zur Ruhe gekommen war und sich wieder halbwegs wie ein Mensch fühlte. Und vor allem auch wieder so roch.
    Sie balancierte mit ihrem Kleiderstapel zurück ins Bad, lud alles auf dem heruntergeklappten Toilettendeckel ab und investierte eine volle Minute darin, mit geschlossenen Augen, bei offen stehender Tür und möglichst flach atmend zu lauschen, nachdem sie das Wasser abgedreht hatte. Alles blieb still. Das Haus war vollkommen leer, und selbst das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, war nicht mehr da. Wahrscheinlich war es ohnehin nichts als Einbildung gewesen, noch ein letzter Abschiedsgruß,den ihr WeißWald und seine versammelten Verrückten mit auf den Weg gegeben hatten.
    Sie überlegte einen Moment, wenigstens eine Kerze anzuzünden, verwarf aber auch diese Idee als zu gefährlich und beließ es dabei, Alicas beträchtliche Vorräte an
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