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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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Erzählerstimme kommt und wie der Hallraum beschaffen ist, in den hinein sie tönt. Jetzt läßt sich endlich nachvollziehen, wie dieser Autor und Großbürger-Sproß, Militärarzt und Psychiater, Jahrgang 1942, in vier gewaltigen Roman-Zyklen und in allen weiteren, darauf folgenden Erzählwerken das Unglück Portugals aufgehoben hat, im Hegelschen Sinne. Bei diesem Autor ist alles immer Gegenwart. Die Vergangenheit ist, mit William Faulkner gesprochen, nicht vergangen; die Gegenwart
ist, mit Sartre gesprochen, nichts als vergangene Zukunft. Vergangenheit und Zukunft gehen bei Lobo Antunes auf in einer allumfassenden Gegenwärtigkeit. Alles dauert an, alles dauert fort. Alles geschieht gleichzeitig. Bei Lobo Antunes ist alles in Sprache konserviert – Portugals Gründungslegenden und Stammessagen, seine Machtphantasien und ausgerenkten Mythen, seine wurmstichige Größe, seine Zeremonien des Zerfalls.
    Immer wieder aufs Neue hat dieser Autor auch mit den kolonialen Mythen seines Landes abgerechnet, von der hochgemuten Gründung des portugiesischen Weltreichs bis zu dessen jämmerlichem Ende in einem schmutzigen Kolonialkrieg in Afrika, der die Reste des Weltreichs hinweggefegt hat, ohne dessen imperiale Phantasmen zu beseitigen. Da im Portugal des António Lobo Antunes alles am toten Punkt stagniert, bewirkt der allgemeine Stillstand die Gleichzeitigkeit aller Vorgänge. Das zeitliche Nacheinander ist aufgehoben in der Synchronität aller Ereignisse.
    Wo nichts geschieht, geschieht alles zugleich. Vasco da Gama und Pedro Cabral brechen auf ins Goldene Zeitalter der Entdeckungen; aber gleichzeitig strolchen sie auch durchs heutige Lissabon, als namenlose Penner und lausige Glücksritter. Und ihre stolzen Karavellen, die von großer Fahrt zurückkommen, beladen mit den Schätzen der Kolonien, sind zugleich verrostete Kähne, aus denen das Gerümpel der retornados , der Rückkehrer aus Afrika, an den Strand gekippt wird. In dem Roman »Die Rückkehr der Karavellen« läßt Lobo Antunes alle berühmten Seefahrer, Entdecker, Missionare und Feldherren, die Portugals Weltreich einst begründeten, als Vertriebene an Bord der letzten Karavellen geschlagen heimkehren.

    Erst durch die Kunst dieses Schriftstellers ist Portugal für die literarische Welt wirklich lesbar geworden. Seine Romane entfalten präzise und sehr differenzierte Zustandsbilder der portugiesischen Gesellschaft und übersteigern sie zugleich ins höllisch Fratzenhafte. Was Lobo Antunes herbeihalluziniert, wem er die Stimme gibt, das sind Portugals Dämonen, so grotesk wie fürchterlich. Seine Romane sind barocke Untergangsgeschichten vom portugiesischen Wesen und Verwesen, bizarr und melancholisch.
    Die triftigste Untergangsmetapher ist immer noch die Familie. Lobo Antunes erzählt das Unglück Portugals deshalb vornehmlich als Familiensaga, als vielstimmige Herrschafts-und Leidensgeschichte von der Gewalt der Väter und der Ohnmacht der Söhne, von der Dämonie der Mütter und dem Elend der Töchter. Er erzählt die Geschichte Portugals als familiäre Verfallsrhapsodie einer untergehenden Klasse. Er besingt den üppig blühenden Niedergang, die grandiose Auflösung eines Landes, das seine Zukunft seit langem hinter sich hat.
    Wenn einer seiner Romane den Titel »Portugals strahlende Größe« trägt, dann kann dies nichts anderes sein als eine höhnische Grimasse: Das Zitat aus der portugiesischen Nationalhymne steht über der Geschichte einer Familie von retornados , die aus Angola nichts ins Mutterland zurückbringen außer ihren zerstörten Illusionen und ihren wahnhaften, kaputten Beziehungen zueinander. Lobo Antunes sieht sich »als Erbe eines alten, unbeholfenen, sterbenden Landes, voller Furunkel aus Palästen und Harnsteinen aus kranken Kathedralen«  – so liest man in seinem stark autobiographischen »Judaskuß«, dem Buch, das seinen Ruhm begründet hat.
    Sein Portugal ist eine Phantasmagorie, geschichtsmatt
und weltvergessen. Sein Lissabon ist eine versunkene Stadt, über der sich die Fluten der Zeit geschlossen haben – ihre Dächer sind Korallenriffe, ihre Straßen Krebsgrotten und die Wolken über der Stadt »nichts weiter als schwimmende Algenbänke«. Sein Thema ist dieser schmale Landstreifen im Rücken Europas und mit dem Rücken zur Zeit: ein Land der Ahnungen und Alpträume, das aufs Meer und in die Vergangenheit starrt, beide unendlich größer als das Vorhandene.
    Immer noch schaut das Land gebannt nach Westen, in der
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