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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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die mit dem Nahen des Morgens zu einer von den festen Eheversprechungen eines Cousins, der Soldat war, vergoldeten Jugend als Dienstmädchen
zurückkehrte, bestellte ein Schmalzbrot mit Schinkenwurst, von dem sie dem Arzt in einem Anfall unvermittelter Höflichkeit den ersten Bissen anbot: Sie kaute mit offenem Mund wie ein Zementmischer, und sie tanzten, wobei sie zärtlich Kantenstückchen austauschten (»Lieba Papa, du biss so dünn«) wie Schiffbrüchige, die brüderlich die Ration auf dem Floß verteilen. Der Schielende stieß die Tresterschnapspferde mit dem Ellenbogen an, und alle drei schauten sie in reglosem Staunen an, sprachlos ob des unglaublichen Bildes eines gealterten Jünglings am Busen eines Wals aus dem Paläolithikum mit großer gekräuselter Mähne. Scheiß drauf, dachte der Arzt niedergeschlagen, während er das Parfüm einsog, das Gas aus dem Ersten Weltkrieg ähnelte und sich in tödlichen Wolken vom Nacken der Frau löste, was würde ich tun, wenn ich an meiner Stelle wäre?

Es ist fünf Uhr morgens, und ich schwöre dir, daß du mir nicht fehlst. Dóri schläft drinnen im Zimmer, den Bauch nach oben, die ausgebreiteten Arme auf dem Bettuch gekreuzigt, und ihr vom Gaumen gelöstes Gebiß bewegt sich im Rhythmus des Atems mit einem feuchten Saugnapfgeräusch vor und zurück. Wir haben beide den Branntwein aus dem Blechkrug aus der Küche getrunken, nackt auf dem Bett sitzend, das unbewohnbar gemacht worden war vom Kriegsgas, welches sogar die auf den Kopfkissenbezug gedruckten Blumen verbrannt hatte, ich habe ihre wortreichen Geständnisse angehört, habe ihr wirres Weinen getrocknet, das meinen Ellenbogen mit einem Wimperntuschebaum tätowiert hat, habe ihr die Decke bis zum Hals hochgezogen wie ein barmherziges Leichentuch über einen zerstörten Körper und bin auf den Balkon gegangen, um die angetrockneten Vogelexkremente abzukratzen. Es ist kalt, die Häuser und die Bäume wachsen langsam aus der Dunkelheit hervor, das Meer ist ein ständig heller und erkennbarer werdendes Tuch, aber ich denke nicht an dich. Ehrenwort, ich denke nicht an dich. Ich fühle mich wohl, fröhlich, frei, zufrieden, höre den letzten Zug dort unten, erahne die aufwachenden Möwen, atme den Frieden der Stadt in der Ferne, entfalte mich in einem glücklichen Lächeln und habe Lust zu singen. Wenn ich ein Telefon hätte und du würdest mich jetzt anrufen, müßtest du den Hörer vorsichtig horchend
ans Ohr legen wie eine Meeresschnecke: Durch ihr Bakelitgewinde würdest du aus kilometerweiter Entfernung von diesem über dem Ende der Nacht hängenden Balkon mit dem Echo meines Schweigens, dem siegreichen Echo meines Schweigens, auch das gedämpfte Klavierspiel der Wellen empfangen. Morgen werde ich ein neues Leben beginnen, ich werde der zuverlässige, verantwortungsvolle Erwachsene sein, den meine Mutter sich wünscht und meine Familie erwartet, ich werde rechtzeitig auf der Station ankommen, pünktlich und ernst, werde mir das Haar kämmen, um die Patienten zu beruhigen, werde scharfe Obszönitäten aus meinem Wortschatz jäten. Vielleicht werde ich sogar einen Wandteppich mit Tigern kaufen, meine Liebste, einen wie den von Senhor Ferreira: Du magst das idiotisch finden, aber ich brauche etwas, das mir hilft zu existieren.

Anmerkungen der Übersetzerin
    ALEIXO, ANTÓNIO (1899–1949), portugiesischer Dichter.
     
    ALJUBARROTA: Schlacht im gleichnamigen Ort, in der die Portugiesen am 14.8.1385 die dreimal so starke Armee der Spanier besiegten und damit die Unabhängigkeit Portugals besiegelten.
     
    ANDRESEN, SOPHIA DE MELLO BREYNER (1919–2004), von vielen als die bedeutendste portugiesische Dichterin betrachtet.
     
    BANDARRA, GONÇALO ANES (1500?–1556), der Schuster von Trancoso, Dichter und Prophet.
     
    BLONDIN, ANTOINE (1922–1991), französischer Schriftsteller.
     
    BOCAGE, MANUEL MARIA BARBOSA DU (1765–1805), wichtiger portugiesischer Dichter zwischen Klassik und Frühromantik, dessen Werk u. a. über 300 Sonette enthält.
     
    CAMÕES, LÚIS DE (1524–1580), Portugals größter Dichter, Verfasser des Nationalepos »Die Lusiaden«.
     
    CARBONARIER: Ursprünglich Mitglieder einer Geheimgesellschaft, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die
Einheit Italiens kämpfte; eines ihrer bekanntesten Mitglieder war Guiseppe Garibaldi. Sie hießen so, weil sie sich in aufgegebenen Kohlebergwerken trafen. Die »Carbonária Portuguesa« hat die Revolution organisiert, die 1910 zur Einführung
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