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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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Zukunft. »Als wir geboren
wurden, hatte Salazar das Land bereits in ein gezähmtes Priesterseminar verwandelt. Seit Salazar gestorben ist, geht’s von einem Debakel zum anderen«, liest man im »Elefantengedächtnis«.
    Hier ist bereits spürbar, woran sich die Phantasie dieses Autors immer wieder neu entzünden, was sein großes Erzählprojekt werden wird – die Dekonstruktion der portugiesischen Stammessagen, die radikale Entmythisierung seines Landes. Der Held findet sich in der Gegenwart nicht zurecht, erinnerungsbeschwert wie er ist. Er hat das »Gefühl, daß er nur in der Vergangenheit existierte und die Tage rückwärts glitten wie auf den alten Uhren.« Wie das Land leidet der Held an seinem Elefantengedächtnis. Die Erinnerung schleppt er nach, abwerfen kann er sie nicht, leicht kann er es sich nicht machen. »Warum erinnere ich mich bloß immer an die Hölle, fragt er sich: weil ich von dort noch nicht wieder weg bin oder weil ich sie durch eine andere Qual ersetzt habe?«
    Der Held kann sich nicht einleben in dieser Gesellschaft. Er kann sich mit seinem Land unter der verwesenden Herrschaft des Diktators nicht identifizieren, und er wird mit dem Trauma des Angola-Kriegs nicht fertig. Man liest: »Zwischen Angola, das er verloren, und Lissabon, das er nicht wiedererlangt hatte, fühlte sich der Arzt doppelt verwaist, und dieser Zustand der Heimatlosigkeit dauerte schmerzhaft an.«
    Diese Existenz- und Sinnkrise wird noch verstärkt durch eine selbst herbeigeführte Qual des Helden – durch die mutwillige Trennung von seiner Ehefrau. Der Roman erzählt aus der Sicht des Mannes die Monate der Desorientierung und Haltlosigkeit unmittelbar nach dieser Trennung. Der Held hat seine Bodenhaftung und seine Richtung verloren, er fühlt sich
nicht mehr richtig geerdet. Er taumelt durch sein Leben. So unverstellt und biographisch erkennbar hat dieser Autor in seinem späteren Werk nie mehr von seinen persönlichen Krisen erzählt. So nahe an sich heran ließ er in seinen späteren Romanen den Leser nicht mehr kommen.
    In dem Interviewband »Gespräche mit António Lobo Antunes«, geführt von der Journalistin María Luisa Blanco, spricht der Autor mit großer Offenheit über diese Krise. Man erfährt, dass Lobo Antunes über nichts so anhaltend, kummervoll und reuig nachgegrübelt hat wie über die Trennung von seiner ersten Frau. Diese Trennung erscheint ihm heute noch unbegreiflich, mutwillig, er nennt sie »selbstzerstörerisch, dumm, irrational«. Man liest: »Der Grund war vollkommen blödsinnig. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum. Ich habe mich ganz sicher von ihr getrennt, weil das in Mode war, alle machten das. Nach der Revolution haben sich viele getrennt, bestimmt, weil sie nicht richtig mit der Freiheit umgehen konnten.« Und an anderer Stelle bekennt er: »Meine Trennung ist das Dümmste, was ich in meinem Leben getan habe. Ich bereue sie sehr, aber Leben ist wie Schreiben ohne Korrekturen.«
    Im Roman taucht immer wieder ein Sehnsuchtsmotiv auf – die utopische Vorstellung, man könne die Vergangenheit korrigieren. »Laß uns an den Anfang zurückkehren, das Leben ins reine schreiben, neu beginnen.« Dem steht der Satz entgegen: »Man kann die Vergangenheit nicht ins reine schreiben.«
    Wohl aber kann ein Autor die Vergangenheit lebenslang umschreiben. Das Gedächtnis, sagt Lobo Antunes, sei ein labyrinthisches Lagerhaus, in dem die eigene Vergangenheit gesammelt
ist. Und mit dem Gedächtnis schreibt man. Als Mensch mag man leiden, aber als Schriftsteller denkt man darüber nach, wie man dieses Leiden für seine Arbeit nutzen kann. Und durch das Umschreiben verändert sich auch die Erinnerung. Phantasie ist die Art, wie man die Erinnerung ordnet.
    Das Auffälligste an »Elefantengedächtnis« ist der Umgang des Autors mit der Zeit. Es obwaltet darin eine ganz eigentümliche Konzeption von Zeit. Der Roman ist eine literarische Vorwegnahme der eigenen Trauer und Verzweiflung des Autors über seine Ehescheidung, die zu dem Zeitpunkt, als der Roman geschrieben wurde, noch gar nicht vollzogen war. Als er sich die Folgen der Trennung literarisch bereits detailliert ausmalte, war er noch gar nicht geschieden. Vergangenheit und Zukunft fallen in diesem Erzählvorgang in eins, anders gesagt: Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft, es gibt »nur die immense Gegenwart, die alles umfaßt«.
    António Lobo Antunes sagt, er habe dieses veränderte Zeitgefühl erstmals in Afrika erfahren. In Afrika
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