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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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sagenhaften Hoffnung, Dom Sebastiao, der verschwundene Knabenkönig, werde eines Tages im Nebel aus dem Meer geritten kommen, um Portugal zu retten. In der »Rückkehr der Karavellen« wird diesem falschen Trost- und Heilsbringer-Mythos der Garaus gemacht. Das radikale Schlußbild des Romans will den Sebastianismus ein für alle Mal erledigen. Da versammeln sich die einstigen Eroberer und Imperienbauer am Meeresufer, eine Kohorte von Schwindsüchtigen, die im Morgengrauen hustend am Strand sitzen, vor sich »nichts als den Ozean, leer bis zur Linie des Horizonts«. Geduldig warten sie auf »einen blonden Jüngling mit einer Krone auf dem Kopf« und »auf das Wiehern eines Pferdes, das nie kommen würde«.
    Das Portugal des António Lobo Antunes ist ein phantastisches Ruinenreich, trotz Massentourismus und EU-Beitritt, ein entmutigtes und entmächtigtes Land, trotz Sturz des Diktators Salazar in der so genannten Nelkenrevolution von 1974. Was die Nelkenrevolution beseitigen wollte, das Ancien Règime, das west fort. Die vorrevolutionäre Vergangenheit Portugals ist nicht vergangen. Die alten Substanzen – das Militär, die Kirche, die mächtigen Familien – sind immer noch
vorhanden. Die alten Eliten geben immer noch den Ton an – oder mindestens den Mißton. Und die portugiesische Gesellschaft ist immer noch zerstritten darüber, als was die Nelkenrevolution anzusehen sei: als ein Befreiungsschlag oder als nationale Katastrophe. Dieser Riß geht auch durch Lobo Antunes’ Familie und durch ihn selbst hindurch. Dieser Riß – Befreiung oder Katastrophe? – ist sein literarisches Thema. Daß er beide Seiten kennt, dass beide an ihm ziehen und zerren, das befähigt ihn zu seinem Roman-Werk.
    Die Familie Lobo Antunes ist eine großbürgerlich-aristokratische Dynastie. Hohe Militärs und einen brasilianischen Kautschuk-Großhändler zählt der Autor zu seinen Vorfahren, aber auch eine deutsche Großmutter. Sein Vater, zwei seiner fünf Brüder und er selbst sind Mediziner. Ehe er den Arztberuf aufgab, um zu schreiben, war er Chefarzt im Hospital Miguel Bombarda in Lissabon, einer psychiatrischen Klinik, in der auch schon sein Vater Chefarzt gewesen war. »Ich bin ein Mann aus einem schmalen, alten Land, aus einer in Häusern ertrinkenden Stadt. Ich wurde geboren und bin aufgewachsen in einer stickigen Welt aus Häkelspitzen, die Häkelarbeit der Großtante und die manuelinische Häkelarbeit der Architektur haben meinen Kopf in Filigranmuster zerlegt, mich an die Nichtigkeit von Nippes gewöhnt, kurz, sie haben meine Sinne reglementiert«, berichtet der Ich-Erzähler im »Judaskuß«. Da hat er den Schock seines Lebens schon hinter sich, die Entregelung der Sinne bereits durchgemacht, auf die denkbar brutalste Weise – ein Schicksal, das der Ich-Erzähler mit seinem Autor teilt.
    Der Schock hieß Angola – und er warf ihn aus der Bahn. 1968, im Alter von 26 Jahren, wurde Lobo Antunes vom Salazar-Regime
als Militärarzt nach Angola zwangsverpflichtet. Vier Jahre Wehrdienst, davon 27 Monate im dreckigen Kolonialkrieg am Arsch der Welt – »Os cus de Judas«, wie der unverblümte Originaltitel seines Romans lautet – sind die zentrale Schreckenserfahrung seines Lebens. Der Kolonialkrieg in Angola, das war der Vietnamkrieg des armen Mannes. Er ist zugleich nationales Trauma und Auslöser der Revolution von 1974 – deren Wortführer waren desillusionierte Kolonial-Offiziere, gezeichnet von den Gräueln, die sie in Afrika mitgemacht hatten.
    150 von den 600 Mann seines Bataillons seien gefallen, sagt Lobo Antunes – aufgerieben durch einen unsichtbaren Feind, verreckt an Malaria, zerrissen von Minen, getötet von Guerilla-Kugeln aus dem Hinterhalt: »Angola hat mir politisch die Augen geöffnet. Es war ein Krieg von Kindersoldaten, angeführt von Offiziersknaben. Er wurde geführt im Namen gewaltiger, stumpfsinniger Ideale – Ehre, Opfer, Vaterland. Dabei gibt es nur eine Ehre – die Ehre, am Leben zu sein.« Einer dieser Offiziersknaben war Ernesto Melo Antunes, Antónios Hauptmann im Angola-Krieg und einer der Mitverschwörer und Programm-Vordenker der Revolution, der später Minister wurde. Diesem bewunderten Freund sollte Lobo Antunes 1996 seinen Roman »Das Handbuch der Inquisitoren« widmen, seine Abrechnung mit den Machthabern des Salazar-Regimes.
    Lobo Antunes selbst ist davongekommen, im »Judaskuß« beschwört er diese Reise ins Herz der Finsternis und ans Ende der Nacht. Dieser kaum
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