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Elben Drachen Schatten

Elben Drachen Schatten

Titel: Elben Drachen Schatten
Autoren: Alfred Bekker
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dunklen mit dem bleichen Totenschädel an der Spitze und jenen, auf dem das goldene Abbild eines geflügelten Affen so lebensecht thronte, dass man glauben konnte, er würde jeden Moment aus der Starre erwachen und sich mit seinen ausgebreiteten Schwingen in die Lüfte erheben. »Nehmt Sie!«
    »Was?«
    »Alle beide! Den Stab der Finsternis und den Stab des Lichts.«
    Der Seher hatte den Befehl mit einer solchen Eindringlichkeit vorgebracht, dass seine Worte in König Keandirs Kopf widerhallten und betäubend auf sein Inneres wirkten. Er war in den nächsten Augenblicken nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
    »Mein König!«
    Keandir erreichte der Ruf wie aus weiter Ferne. Nur beiläufig bemerkte er, dass es der junge Branagorn war, der seinen Namen gerufen hatte.
    Aber wie alles andere, was um ihn herum war, trat auch Branagorn auf seltsame Weise in den Hintergrund. Keandirs empfindliche Elbensinne schienen auf einmal von einer plötzlichen Taubheit befallen. Er hatte das Gefühl, dass ihn eine unsichtbare Barriere von allem, was ihn umgab, abschirmte. Von allem, außer den Einflüsterungen des Augenlosen Sehers.
    Keandir hob die Hände und ergriff die beiden Stäbe des Sehers. In dem Moment, als sich seine Finger um das Holz der Stäbe schlossen, durchlief ihn ein beinahe schmerzhaftes Prickeln. Eine überwältigende Kraft durchfuhr seinen gesamten Körper, während der Augenlose eine seiner sechsfingerigen Hände auf Keandirs Kopf legte. Die andere Hand presste er gegen Keandirs Brust, direkt über dem Herzen.
    Der aasige, uralte Atem des Sehers umgab Keandir wie eine Aura, und ein Schwarm kleinster schwarzer Teilchen drang aus dem zahnlosen Mund. Sie glichen winzigen Insekten und schwirrten unruhig durcheinander. Dann bildeten sie einen Strom, der direkt in die Nasenlöcher des Königs strebte.
    »Was tut Ihr mit meinem König?«, rief Branagorn.
    Der junge Elb wähnte seinen Herrn in Gefahr. Von Anfang an hatte er eine Aura des Bösen gespürt, und er fragte sich, weshalb er seinen hoch sensiblen Elbensinnen nicht getraut und seinen König früher gewarnt hatte.
    Branagorn griff zu dem Schwert an seiner Seite und riss die Klinge heraus. Was auch immer dieser Augenlose Seher für schwarzmagische Teufeleien an seinem König verüben wollte – Branagorn würde dabei nicht tatenlos zusehen.
    Er holte zu einem Schwertstreich aus, aber eine unsichtbare Kraft erfasste Branagorn, riss ihn zurück und schleuderte ihn gegen die Felswand. Er war unfähig sich zu bewegen, die Kraft hielt ihn wie in einem Schraubstock.
    »Ihr überschätzt Euch, Krieger!«, dröhnte die Geisterstimme des Augenlosen. »Wagt das nie wieder, sonst wird Eure jämmerliche sterbliche Existenz nicht nur weitaus früher enden, als es die Götter ohnehin vorgesehen haben – ich werde auch Eure erbärmliche Seele für ein Äon oder mehr leiden lassen, bevor ich sie schließlich vernichte!«
    Ein Zittern durchlief Branagorns Körper. Er konnte nichts dagegen tun. Die Magie des Augenlosen Sehers war zu mächtig. Eine Beschwörungsformel zur Abwehr lag dem jungen Elbenkrieger auf der Zunge. Ein einfacher, primitiver Zauber, wie ihn jeder Elb schon als Kind erlernte und der in solch einer Situation jedem Angehörigen dieses Volkes fast schon instinktiv über die Lippen gekommen wäre. Aber Branagorns Zunge war wie gelähmt. Er war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Ton vorzubringen.
    In der Gewissheit, alles unter Kontrolle zu haben, wandte sich der Augenlose wieder Keandir zu und öffnete erneut den Mund. Der dunkle Schwarm der wimmelnden Teilchen, von denen jedes Einzelne noch viel kleiner sein musste als ein Sandkorn, kehrte aus der Nase des Königs zurück in den Schlund des Augenlosen. Dieser stieß einen glucksenden Laut aus, nachdem er die wimmelnden Winzlinge verschluckt hatte.
    Keandir schloss die Augen. Es war ein plötzlich auftretendes Bedürfnis, so mächtig wie die Sehnsucht nach Schlaf, wenn man der vollkommenen Erschöpfung nahe war. Der Elbenkönig wirkte wie erstarrt. Er glich in seiner Regungslosigkeit der Skulptur eines Bildhauers.
    Der Augenlose ließ ihn los und nahm ihm die beiden Stäbe wieder ab, die daraufhin für einen kurzen Moment seltsam leuchteten, so als wären sie mit einer phosphorisierenden Substanz bestrichen. Doch dieses Leuchten hielt nur wenige Herzschläge lang an.
    »Öffne die Augen!«, wies der Seher den König an.
    Dieser gehorchte. Branagorn erschrak, als er sah,
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