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Elben Drachen Schatten

Elben Drachen Schatten

Titel: Elben Drachen Schatten
Autoren: Alfred Bekker
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das Euch selbst blendet, sodass Ihr die Finsternis in Euch nicht seht«, erwiderte der Augenlose und hob seine beiden magischen Stäbe – den hellen und den dunklen. »Licht und Finsternis sind ohne einander nicht denkbar. Sie sind zwei Aspekte ein und desselben. Und je mehr Ihr die Finsternis zu verbannen versucht, desto hartnäckiger schleicht sie sich in Eure Seelen ein.«
    Keandir schüttelte den Kopf. »Worauf soll diese Unterhaltung hinauslaufen? Auf einen philosophischen Disput? Während der langen Seereise, die mein Volk hinter sich hat, hatte ich viel Zeit, um über derartige Fragen nachzudenken, Augenloser. Im Moment bin ich jedoch an näherliegenden Dingen interessiert.«
    »Ich weiß. Obwohl es mir durchaus nicht alltäglich scheint, dass ein Angehöriger Eures Geschlechts einen Sinn für das Praktische entwickelt.«
    »Ihr habt gesagt, Ihr hättet meine Seele geprüft. Hat sie sich als würdig erwiesen, um Antworten zu erhalten?«
    »Es geht nicht darum, ob sie würdig genug ist, König Keandir.«
    »Ach nein?«
    »Die Frage ist, ob sie stark genug ist, die Antworten des Orakels zu überstehen.«
    »Von welchem Orakel sprecht Ihr?«
    Wieder kicherte der Augenlose. »Eure Stimme vibriert, als ob Euch bereits bei dem Gedanken daran die Furcht in ihren Würgegriff nimmt. Dennoch wollt Ihr wissen, in welcher Weise das Geschick Eures Volks durch die Geburt der Zwillinge beeinflusst wird und ob die Mächte des Schicksal für oder gegen Euch sind, wenn Ihr auf dem nahen Festland siedelt. ― Nun, so folgt mir zum Orakel.«
    »Ich hatte gedacht, Ihr selbst hättet eine klare Kenntnis der Zukunft.«
    Wieder verzog der Augenlose spöttisch den Mund. »Ich würde es eine Ahnung der Möglichkeiten nennen.«
    »Warum auf einmal so bescheiden?«
    »Ihr müsst selbst wissen, ob Ihr den Weg zur Erkenntnis gehen wollt oder davor zurückschreckt!« Der Augenlose hob den dunklen Stab mit dem Totenschädel und richtete ihn auf eine Felswand. Dort, wo sich gerade noch massives Gestein befunden hatte, war auf einmal ein düsterer Gang. Ein schabender Laut drang daraus hervor – und das Plätschern von Wasser. »Habt Ihr Mut genug, Euch ans Ufer des Schicksalssees zu begeben?«, fragte der Augenlose.
    »Lasst Euch nicht auf die magischen Kunststücke dieser Höhlenkreatur ein!«, beschwor Branagorn seinen König. »Ich fühle, dass es Euer Verderben sein wird.«
    »Nie hat jemand ernsthaft meinen Mut angezweifelt«, entgegnete Keandir. »Davon abgesehen befinden wir beide uns bereits in der Hand dieses selbst ernannten Sehers, denn nur er hat die Macht, uns wieder aus diesem Verlies zu entlassen!«
    »Ich würde ihm nicht über den Weg trauen, mein König!«
    »Er hätte uns sehr leicht den geflügelten Affen überlassen können, wollte er unser Verderben«, erinnerte Keandir.
    »Wer mag schon wissen, was seine Pläne sind …«
    Keandir ging nicht weiter auf die Einwände Branagorns ein und trat vor. »Ich bin bereit«, erklärte er.
    Der Augenlose hob den hellen Stab mit dem geflügelten Affen an der Spitze, der sich höhnisch über das Schauspiel, das ihm geboten wurde, zu amüsieren schien. Und auf einmal erwachte er für einen Moment aus der Erstarrung. Er blies einen Feuerball aus seinem Rachen, der an der Wand entlangtanzte und dort nacheinander Dutzende von Fackeln entzündete.
    Der Augenlose ging voran. Keandir folgte ihm. Doch noch einmal blieb er stehen und wandte sich zu Branagorn um. »Was ist mit Euch?«
    »Natürlich lasse ich Euch nicht allein, mein König.«
    »Das freut mich zu hören.«
    »Aber ich muss Euch noch einmal beschwören, dieser augenlosen Missgeburt nicht zu trauen.«
    »Er hat uns das Leben gerettet.«
    »Aber mit welcher Absicht?«
    Keandir schwieg.

3. Kapitel:
    Der See des Schicksals

    Der Augenlose bewegte sich mit überraschender Schnelligkeit, und die beiden Elben hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Fauliger Modergeruch drang ihnen entgegen, und immer wieder war dieser schabende Laut zu hören. Es erinnerte Keandir an das Scharren von Rattenfüßen auf felsigem Grund oder an die Krallen gieriger Vögel, die einen morschen Baumstamm nach Gewürm absuchten.
    Der Gang führte schließlich in eine Höhle, die einer unterirdischen Zitadelle glich. Tropfsteine wuchsen von der Decke. Doch es waren keine gewöhnlichen Stalaktiten ― diese Steine leuchteten und erfüllten die Höhle mit grünlichem Schimmer.
    Jene Bereiche der Höhlendecke, an der keine leuchtenden Tropfsteine hingen, waren
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