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Elantris

Elantris

Titel: Elantris
Autoren: Brandon Sanderson
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suchte.
Raoden streckte die Hand aus, doch die Dienstbotin wich bebend vor ihm zurück, wobei sie in der Eile über eine kleine Melone stolperte.
»Was ist los?«, wollte Raoden wissen. Da sah er seine Hand. Was ihm im Schatten seines dunklen Zimmers verborgen geblieben war, wurde nun im flackernden Schein der Laterne im Gang sichtbar.
Raoden wandte sich um und riss auf dem Weg zu dem großen Spiegel an der Seitenwand seines Gemaches Möbelstücke um. Das morgendliche Dämmerlicht war mittlerweile so stark, dass er das Spiegelbild erkennen konnte, das ihm entgegenstarrte. Das Spiegelbild eines Fremden.
Seine blauen Augen waren immer noch dieselben, auch wenn sie vor Schreck weit aufgerissen waren. Doch sein Haar war nicht länger rötlich braun, sondern hing ihm schlaff und grau vom Kopf. Die Haut war das Schlimmste. Das Gesicht im Spiegel war von widerwärtigen schwarzen Flecken überzogen, die aussahen, als seien es dunkle Blutergüsse. Diese Flecken konnten nur eines bedeuten.
Die Shaod hatte ihn ereilt.
Das Stadttor von Elantris fiel dröhnend hinter ihm zu. Das Geräusch hatte etwas erschreckend Endgültiges. Raoden sackte gegen das Tor, immer noch ganz benommen von den Ereignissen des Tages.
Es war, als gehörten seine Erinnerungen einem anderen. Sein Vater, König Iadon, hatte Raodens Blick gemieden, als er den Priestern befohlen hatte, seinen Sohn vorzubereiten und in die Stadt Elantris zu werfen. Es war schnell und leise geschehen, denn Iadon konnte sich nicht leisten, dass bekannt wurde, der Kronprinz sei ein Elantrier. Vor zehn Jahren hätte die Shaod aus Raoden einen Gott gemacht. Doch anstatt die Menschen in silberhäutige Gottheiten zu verwandeln, machte die Shaod sie nun zu widerwärtigen Ungeheuern.
Ungläubig schüttelte Raoden den Kopf. Die Shaod war etwas, was anderen Leuten zustieß - Leuten, die weit weg waren. Leuten, die es verdient hatten, verflucht zu sein. Nicht dem Kronprinzen von Arelon. Nicht Raoden.
Vor ihm erstreckte sich die Stadt Elantris. Die hohen Mauern wurden von Wachhäusern und Soldaten gesäumt. Allerdings sollten diese Männer nicht dafür sorgen, dass keine Feinde in die Stadt eindrangen, sondern dass die Bewohner nicht nach draußen entkamen. Seit der Reod brachte man jeden Menschen, der von der Shaod ereilt wurde, nach Elantris, wo er verrotten sollte. Die gefallene Stadt war zu einer riesigen Gruft für diejenigen geworden, deren Körper vergessen hatte, wie man starb.
Raoden konnte sich noch entsinnen, wie er einst auf jenen Mauern gestanden und auf die grausigen Einwohner von Elantris hinabgeblickt hatte, so wie nun die Wächter auf ihn herabsahen. Damals hatte die Stadt weit weg gewirkt, obgleich er sich nur knapp außerhalb davon befunden hatte. Damals hatte er nachgegrübelt, wie es wohl sein mochte, durch jene geschwärzten Straßen zu wandern.
Jetzt würde er es herausfinden.
Raoden drückte kurz gegen das Tor, als wolle er seinen Körper hindurchzwängen und sein Fleisch von dem Makel reinigen. Er senkte den Kopf und gab ein leises Stöhnen von sich. Am liebsten hätte er sich auf den schmutzigen Steinen zu einem Knäuel zusammengerollt und darauf gewartet, aus diesem Traum zu erwachen. Doch ihm war klar, dass er niemals erwachen würde. Die Priester sagten, dass dieser Albtraum niemals ein Ende nahm.
Etwas tief in seinem Innern drängte ihn jedoch vorwärts. Er wusste, dass er sich bewegen musste; denn wenn er es nicht täte, so fürchtete er, würde er einfach aufgeben. Die Shaod hatte Besitz von seinem Körper ergriffen. Er konnte nicht zulassen, dass sie ihm auch noch den Verstand raubte.
Also benutzte Raoden seinen Stolz wie einen Schutzschild gegen Verzweiflung, Mutlosigkeit und - ganz besonders - gegen das Selbstmitleid und hob den Kopf, um der Verdammnis die Stirn zu bieten.
Als Raoden früher auf den Mauern von Elantris gestanden und - sowohl wörtlich wie auch im übertragenen Sinne - auf dessen Einwohner hinabgeblickt hatte, hatte er den Dreck gesehen, der die Stadt bedeckte. Jetzt stand er mitten darin.
Jede Oberfläche, von den Mauern der Gebäude bis hin zu den zahlreichen Spalten in den Pflastersteinen, war mit einer schleimigen Schmutzschicht bedeckt. Der rutschige, ölige Belag hatte eine nivellierende Wirkung auf die Farben von Elaniris und ließ sie alle zu einem einzigen deprimierenden Farbion verschmelzen - einem Ton, in dem sich pessimistisches Schwarz mit schmutzigen Grüntönen und Abwasserbraun vermischte.
Früher war es Raoden gelungen,
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