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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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irgendwie schuld an der Blaufärbung der Weinstöcke.

    Der Weg heute ist nicht anstrengend zu gehen und auch die Temperatur ist angenehm. Das Ärgerliche ist nur, dass mir 20 Kilometer immer zu wenig (denn dann bin ich zu früh im nächsten Refugio) und 30 Kilometer entschieden zu viel sind. Nach 24 Kilometern habe ich überhaupt keine Lust mehr zu gehen, und wenn dann nach 28 Kilometern der Kirchturm des Dorfes mit der nächsten Herberge auftaucht, sind diese letzten Kilometer endlos. Vor allem, wenn man dabei die Kirchturmspitze im Blick behält: Die kommt überhaupt nicht näher! Es ist da schon besser, immer mal nach links und rechts zu gucken und dann völlig überrascht zu sein, wenn das Dorf beginnt. Der Weg bergauf zur Herberge (sie liegt wirklich immer ganz oben) ist dann noch lang genug.
    Während ich schreibe, ist am Nebentisch eine laute Unterhaltung im Gange. Ein junger Amerikaner versucht mit drei Französinnen anzubandeln. Da er aber nur Englisch spricht, müssen die Mädels auch auf Englisch radebrechen. Laut, kichernd, fröhlich. Jetzt wird es leiser, die Beteiligten sind aufgebrochen, um die französisch-amerikanischen Beziehungen bei einer Cerveza in der nächsten Bar auszubauen.
    Ich habe mir ein Essen gekocht und dazu eine halbe Flasche Wein mit einem Originaletikett der Herberge von Jana, der Herbergsmutter, gekauft. Eine ganze Flasche ist zu viel. Jana meint, sie würde die andere Hälfte zum Abendessen trinken, falls ich niemanden zum Teilen finde. Also frage ich meine Mitpilger, ob sie ein Glas Wein trinken möchten. Das holländische Ehepaar will ins Restaurant gehen, die beiden Diakonissen trinken bloß Tee, die zwei deutschen Mädel in der Küche aber sind von der Einladung angetan. Wir sitzen dann draußen und erzählen von unseren bisherigen Erfahrungen auf dem Camino. Ich habe festgestellt, dass man sich in den ersten Sätzen eines Gesprächs immer persönlich vorstellt, man nennt also seinen Vornamen und sein Herkunftsland. Wenn das Gespräch intensiviert wird, fragt das Gegenüber dann nach der Heimatstadt und dann folgt selbstverständlich die Frage, wo man den Camino begonnen hat und wann. Spätestens jetzt stellt man fest, dass man gemeinsame Erfahrungen gemacht hat, die bisherigen Herbergen werden genannt und verglichen und unweigerlich ergibt sich ein lebhafter Plausch. So geht es auch jetzt und wir sitzen draußen und klönen eine ganze Weile sehr angeregt. Als es zu kalt wird, gehe ich hinein und treffe Jana beim Verarzten der vielen Blasen, Wunden, Allergien usw. Eine tolle Frau!
    Sie erzählt dabei ein wenig aus ihrem Leben als Hostaleria und anschließend kaufe ich noch einmal bei ihr ein. Den Wein hat sie mir mit einem Lächeln praktisch geschenkt, das Croissant und den Joghurt auch. Als ich protestieren will, meint sie nur lächelnd, es sei nicht ihr Ziel, reich zu werden.

6. Tag

Ventosa—Santo Domingo de la Calzada

    Ich bin sicher, dass ich heute Morgen die Turmuhr sechsmal schlagen hörte, fand es aber noch reichlich dunkel. Mittels einer winzigen Taschenlampe habe ich dann auf die Uhr geguckt, der kleine Lichtschein war aber trotzdem viel zu hell. Es war erst kurz nach fünf. Bin dann noch brav liegen geblieben und erst kurz vor sechs aufgestanden, als sich bereits mehrere Pilger zum Aufbruch fertig machten. Während ich auf dem Flur auf ein freies Bad wartete, kam Jana die Treppe herunter und meinte fassungslos: „Wo wollen die alle hin? Es ist stockfinster draußen!“ Da hatte sie völlig recht. Als ich dann meinte, die Frühaufsteher wollten möglicherweise ein ruhiges Frühstück in der Küche genießen, sagte sie nur: „Geht doch gar nicht, da schlafen Pilger.“ Auch das stimmte. In diesem Moment klingelte irgendwo im Haus ein Wecker — und klingelte wirklich lange. Ich bin nach vier Pilgertagen noch nicht so gütig und mild, um darüber zu lächeln. Ich finde es einfach nur frech den anderen gegenüber!
    Ich bin dann auch erst kurz nach sechs losgestiefelt. Man konnte wirklich noch nicht viel sehen, aber die Luft und das Morgenlicht waren wunderschön.

    Die ersten zwei Stunden waren sehr angenehm, die Blase tat auch nicht mehr weh und nach 11 Kilometern Marsch habe ich mir in Nájera ein ausgiebiges Frühstück gegönnt. Als ich dann um 10 Uhr in Azofra war — meinem eigentlichen Tagesziel —, fand ich das wieder zu früh. Der Himmel war bedeckt, das Wetter also ideal zum Laufen, die nächste Herberge gab es allerdings erst 16 Kilometer weiter. Das
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