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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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Lebens-Mittelpunkt. Um halb zehn kam die Frau vom Eingang, die unsere Pilgerpässe gestempelt hatte, herein und ermahnte uns, ja um zehn im Bett zu sein. Das waren dann auch alle, aber es herrschte eine ausgelassene Stimmung wie auf einer Klassenreise, auf der man den Lehrer denn auch gerne mal austricksen möchte.
    Die Nacht war dann aber absolut ruhig und beim Aufstehen gegen sechs gaben sich die Pilger redlich Mühe, leise zu sein.

7. Tag

Santo Domingo de la Calzada—Grañón

    Schon eine Woche Pilgerin.
    Ich bin heute Morgen in aller Ruhe aufgestanden. Als ich mit dem Frühstück fertig war, kam ein junges Mädchen auf mich zu und gab mir meine Kette mit dem Kreuz aus Jerusalem, die sie im Bad gefunden hatte. Es ist mir ein Rätsel, wie ich die verlieren konnte, der Verschluss war heil und ich hatte sie nicht abgenommen. Ich habe mich tüchtig gefreut. Kurz darauf war ich in Sorge, meinen Reiseführer verloren zu haben, fand ihn dann aber nach längerem Suchen in der Küche wieder, wo ich ihn gestern Abend vergessen hatte. Heute ist mein Glückstag!
    Ich bin erst gegen halb acht ganz langsam in Richtung Grañón losgegangen oder genauer: losgehumpelt. Seit gestern habe ich Probleme mit dem linken Fuß und werde daher heute nur bis Grañón gehen und dort einen Tag Pause machen. Das Dorf ist lächerliche sieben Kilometer entfernt.

    Es ist richtig kalt heute. Die Albergue in Grañón ist im Turm der Kirche untergebracht. Ich bin heute die erste Pilgerin, der Hostalero ist noch nicht da und ein spanischer Gehilfe mit Namen Antonio, der kein Wort Englisch oder Französisch geschweige denn Deutsch spricht, versucht mir mit großem schauspielerischen Talent alles Notwendige zu erklären. Er hält die Hände über sich, um mir zu zeigen, wo die Dusche ist, steckt imaginäre Münzen in einen Spendenkasten und imitiert Humpeln, um zu zeigen, wo müde Pilger sich ausruhen können. Dann trägt er mir den Rucksack die Treppe hoch unters Kirchendach, wo sich die Herberge befindet und animiert mich, gleich zu duschen, bevor andere kommen. Ich will gar nicht duschen, ich friere auch so schon erbärmlich - aber ich muss wohl, wenn er mir doch so freundlich das Verfahren hier erklärt! Ich wasche dann im Anschluss auch noch meine Socken, obwohl gestern jemand in Santo Domingo gesagt hat, es sei gut für die Füße, die Socken nicht zu waschen. Otto hatte das auch schon behauptet. Für die Füße mag das ja stimmen; ich denke aber, es ist besser für die anwesenden Pilger, es doch zu tun. Dann hänge ich sie in das Kirchenfenster zum Trocknen. Langsam füllt sich die Herberge. Es duftet nach Essen. Jemand spielt Gitarre. Nach einiger Zeit tauchen Lilli und Karl auf. Wir unterhalten uns über unsere letzten Erlebnisse. Alle sind sehr nett, Lilli ist allerdings auch ein klein wenig anstrengend. Kaum hat man eine Äußerung getan, toppt sie diese mit dem Erzählen eigener Erlebnisse und ist dann nicht mehr zu bremsen. Karl lächelt nur dazu. Und sie erzählt weiter. So komme ich überhaupt nicht zum Erzählen!
    Wir gehen dann am frühen Nachmittag in einer größeren Gruppe zu einer Wallfahrtskapelle, die zu Ehren Marias errichtet wurde. Sie ist etwa zwei Kilometer entfernt und frisch restauriert, liegt in einem kleinen Wäldchen und ist ein schönes Ausflugsziel. Ich kann nur nicht so viel mit der Marienverehrung anfangen. Die bildlichen Darstellungen hier erinnern mich genau wie auch schon vorher in den anderen Kirchen irgendwie an eine Fruchtbarkeitsgöttin des Altertums. Ich muss noch viel lernen - vielleicht finde ich ja noch einen Zugang zu dieser Form von Verehrung.

    Diese zusätzliche Strecke am Nachmittag war aber ganz offensichtlich zu viel für meinen Fuß, in dem sich eine dicke Entzündung entwickelt. Gegen Abend schlucke ich dann eine Tablette und setze mich noch einmal nach draußen. Vor der Kirche ist ein kleines Gärtchen angelegt, in dem die Pilger zuhauf herumliegen. Jemand hat sich die Gitarre genommen und spielt ganz virtuos spanische melodiöse Gitarrenmusik - einfach toll! Drinnen beginnt Antonio für alle zu kochen, es duftet ganz lecker. Wir decken in der Kirche - oder unter dem Kirchendach, wie man’s nimmt — für 47 Pilger! Dann spricht Antonio ein kurzes spanisches Gebet und es gibt für alle Essen. Dabei lerne ich wieder neue Leute kennen: Jannis und Samuel aus Norddeutschland, die gerade ihr Abitur gemacht haben, und Hyan aus Korea, sie kommt jetzt aber aus Paris, steht vor dem Abschluss eines
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