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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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ergab eine Tagesstrecke von 33 Kilometern, dabei wollte ich eigentlich meine Blase schonen. Ich bin dann aber doch weitergelaufen. Irgendwie muss man nur immer einen Fuß vor den anderen setzen, das nächste Dorf kommt dann schon vorbei. Ab halb zwölf kam dann aber die Sonne heraus und es wurde richtig warm! Aber Jammern nützte natürlich nichts, ich hatte ja selbst Schuld — ich hätte ja in Azofra bleiben können.

    Langsam komme ich auf dem Camino an und habe nicht mehr so viele Alltagsgedanken von zu Hause im Kopf, die dann Ameisen gleich alle durcheinanderkrabbeln. In den ersten Tagen konnte ich anderen Mitpilgern einfach nicht aufmerksam genug zuhören, wenn sie ihre Gedanken und Geschichten in mich hineingeschüttet haben. Jetzt habe ich schon Menschen, Orte und Erlebnisse im Kopf, die mich beim Gehen beschäftigen. Der Holländer zum Beispiel, der vor dreieinhalb Monaten zu Hause in den Niederlanden losgegangen ist und noch einen weiteren Monat rechnet, um anzukommen. Oder der ausgeflippte italienische Punker, der sich kaum verständigen konnte und dem Jana die böse zerschundenen Füße gepflegt und verbunden hat. Oder die Mutter aus der Schweiz, die mit ihrem achtjährigen Sohn und dem dreijährigen Mädchen vor Monaten aus Zürich aufgebrochen ist. Die Dreijährige sitzt in einer Kinderkarre, auf der oben eine stabile Verstrebung aufgeschweißt ist, auf welcher der Rucksack liegt. Der „Große“ hat Schulbefreiung. Was es alles gibt.

    Um 14 Uhr (acht Stunden tüchtig auf und ab gelaufen, 33 Kilometer) komme ich in Santo Domingo de la Calzada an und bin richtig kaputt. Nach dem Duschen lege ich mich erst mal für eine Stunde aufs Bett, bis der Rücken wieder gerade ist und die Füße etwas weniger brennen.
    Jetzt sitze ich hier im Garten des Zisterzienserklosters am Tisch und schreibe. Da setzt sich ein junger Mann mit einem Baguette, Käse und Wurst an den Nebentisch und verharrt in Schweigen. Ich denke, er hält sein Tischgebet, bevor er zu essen beginnt, aber er schneidet sich über dem Tisch zunächst einmal sehr aufmerksam die Fingernägel, bevor er sich anschließend mit seinen Füßen beschäftigt. Körperpflege ist so wichtig auf dem Camino!
    Ich habe mir dann am Nachmittag die Kathedrale angeschaut. Das ist die, in der die zwei weißen Hühner (Hahn und Henne) gehalten werden. Sie sollen an das Wunder erinnern, das der heilige Domingo dereinst vollbrachte, indem er einen unschuldig zum Tode verurteilten Jüngling stützte, sodass der nicht starb, als er gehängt wurde. Damals soll der zuständige Bischof gesagt haben, er könne das nur glauben, wenn die beiden gebratenen Hühner auf seinem Teller noch fliegen würden. Daraufhin erhoben sich diese und flatterten davon.
    An die Kathedrale ist ein Museum angeschlossen, für das man Eintritt zahlen muss. Wer nicht bezahlt, kann zwar einen kleinen Blick auf das Federvieh werfen, aber in die Kirche kommt er nicht wirklich - außer zur Messe. Deshalb ist die ganze Kirche durch Gitter aufgeteilt. Ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Ruhe, Stille und Andacht zwischendurch sind jedenfalls nicht möglich. In den anderen Kirchen unterwegs spielte Musik und die Türen waren offen...
    Ich will noch in die Messe des Zisterzienserklosters mit Segnung der Pilger. Vielleicht bin ich hinterher schlauer. Aber reif für eine Erleuchtung oder ein spirituelles Erlebnis bin ich noch lange nicht. Ich achte noch viel zu sehr auf den Weg als Weg und auf meine Füße und Beckenknochen.

    Die Messe hat mich nicht wirklich weitergebracht. Der Pfarrer machte genau wie der in Puente la Reina einen eher gelangweilten Eindruck und rappelte seinen Sermon so herunter. Vielleicht fällt es mir auch deshalb so auf, weil ich den Inhalt, der auf Spanisch gesprochen wird, nicht verstehe und auf Stimme, Melodie und Ausstrahlung angewiesen bin. Nach einer halben Stunde war er fertig und ging. Sofort huschten etwa sechs Zisterzienserinnen in den Altarraum, das Licht ging aus (einige Männer verließen die Kirche) und eine der Nonnen begann eine Liturgie, in der immer wieder „Maria, Santa
    Maria“ vorkam. Auch dieser liturgische Sprechgesang klang eher nach Routine denn nach Inspiration. Nach etwa 15 Minuten war alles vorbei und die Schwestern huschten lautlos und schnell wieder hinaus.
    Ich habe anschließend in der Küche gekocht und mit anderen „Mitessern“ interessante und fröhliche Gespräche geführt. Irgendwie ist eine Küche als Lebensmittel-Punkt immer auch ein
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