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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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letzten beiden Tage war ich beim Laufen damit beschäftigt, meinen Gedanken Raum zu geben, sie purzeln derzeit noch alle durcheinander. Da bin ich einfach kein aufmerksamer Zuhörer und schon gar kein guter Erzähler. Allmählich wird es richtig heiß. Wir haben meine geplante Tagesetappe von 21 Kilometern in Torres del Rio bereits um 11 Uhr erreicht, das ist wirklich zu früh, um anzukommen. Also laufen wir weiter bis Viana. Jetzt wird es richtig heiß und der Weg ist für meinen Geschmack viel zu bergig. Aber es hilft ja nichts, ich muss bis zur nächsten Herberge weiterlaufen, auch wenn die Sonne aufs Hirn brennt, der Rucksack die Hüfte wund scheuert, T-Shirt und Hose völlig durchgeschwitzt sind, der Mund trocken ist und viel zu wenig Luft zum Atmen bleibt. Uff, die ver... Berge!
    An der letzten Anhöhe vor Viana sage ich Otto, dass er allein laufen soll, ich bin im Anstieg einfach nicht so stark wie er. Nach dieser letzten Anhöhe vor Viana kommt noch eine, dann die allerletzte, und eine allerallerletzte... es reicht mir! Ich frage mich, warum ich das eigentlich mache. Kaputtmachen kann ich mich auch zu Hause — und da habe ich ein eigenes Bad und ein gemütliches Schlafzimmer, das ich nicht mit 30 Leuten teilen muss! Die Strecke nach Viana zieht sich. Warum liegen die Herbergen bloß immer auf einem Berg!?
    Als ich in Viana ankomme, läuft Otto noch planlos herum, er hat sich verlaufen. Wir verlaufen uns dann noch gemeinsam eine Weile, die Herberge ist nicht wirklich gut ausgeschildert. Endlich angekommen stelle ich dankbar meinen Rucksack ab und reiche meinen Pilgerpass zum Stempeln, während mein Wandergefährte auf die Uhr schaut und beschließt, noch nach Logroño zu laufen (10 Kilometer). Eric, der junge Schauspieler aus Frankreich mit der dunklen Löwenmähne und den hübschen Augen, sagt anschließend, Otto sei ein „Walkaholic“. Die fröhliche Studentin Maria aus Italien und Tom, ein kerniger Polizist aus Deutschland, wollen Wäsche waschen und fragen, ob ich mich an ihrer Maschinenwäsche beteiligen möchte. Ich nicke zustimmend, wanke dann aber zunächst mit großer Mühe in Schlafraum 1. Alle, die mir entgegenkommen, haben diesen seltsamen, eierigen Gang. Während ich in meinem Rucksack krame und die Duschsachen heraushole, murmle ich Eric zu, dass ich erst mal so eine Art „Arrival-Celebration“ vorhabe und besehe mir aufmerksam meine Füße. Während ich sie massiere, grinst Maria und ermahnt mich, ihnen gut zuzureden: „... cause they need a lot of motivation!“ Und da hat sie recht!
    Da bin ich heute wirklich mehr als 30 Kilometer gelaufen! Die ersten Kilometer vorgestern — lächerliche fünf — von Pamplona bis Cizur Menor fand ich ganz schön anstrengend. Die nächsten 20 Kilometer am folgenden Tag hatten mir richtig Sorgen gemacht: Wenn ich die Strecke nicht schaffe? Wenn ich irgendwo am Weg draußen schlafen muss, weil ich die Herberge nicht erreiche? Und Tag für Tag stelle ich nun fest: Ich schaffe das. Ich kann das, was ich mir vorgenommen habe und was jetzt nötig ist, erreichen. Vielleicht ist dies eine der wesentlichen Lehren des Camino. Viele Pilger berichten, wie überrascht sie über die eigenen Möglichkeiten sind. „Ich habe vorher nicht gewusst, dass ich das kann“, formuliert Philippe diese Erkenntnis später und meint dabei einen Tag, an dem er 50 Kilometer gelaufen ist.

    Anschließend gehe ich in den Ort — ich bin immerhin 30 Kilometer in sechseinhalb Stunden in einem absoluten Backofen gelaufen und kriege langsam Hunger. Viele andere Pilger eiern gleich mir durch die Straßen, man erkennt sie leicht am vorsichtigen Gehen in den Badelatschen — und nachmittags hat jeder Pilger Badelatschen an!
    Während ich noch draußen sitze und schreibe, kommen Lilli und Karl und fragen, ob ich mit Tom, Eric, Maria und ihnen zu Abend kochen will. Ich will. Wir gehen zusammen einkaufen, diskutieren ausführlich die Vor- und Nachteile von zwei bis drei Rezepten, korrigieren die Einkäufe mehrfach und schnippeln und kochen anschließend in der Herbergsküche. Da ist in allen Sprachen tierisch was los und es macht viel Spaß.
    Wir kochen Nudeln, Zucchini, Mais und rote Sauce mit Hack. Als wir gemeinsam am Tisch sitzen und essen, kommen andere Pilger und bieten uns von ihrem restlichen Salat an. Dafür geben wir dann unsere Restnudeln und -sauce an zwei holländische Mädels weiter. Irgendwann singen wir dann (Lilli ist spitze im Organisieren von Gesängen!) „Hejo, spann den
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