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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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FC-Liverpool-Trikots an und blinkende Elch-Hörner auf ihren flachsblonden Hamburger Haaren. Aus den Lautsprechern über ihren Köpfen dudelt Sechziger-Jahre-Soul.
    »Chef!«, ruft der Schulle.
    »Was sollen die elektrischen Hörner?«, frage ich.
    »Weihnachten!«, sagt der Brückner.
    »Und die Trikots?«
    »Liverpool!«
    Ach ja. Weihnachten und Fußball. War ja das bekloppte Motto der Veranstaltung. Hab ich vergessen. So einen überflüssigen Scheiß kann ich mir einfach nicht merken.
    Ein paar Kollegen von den Langzeitvermissten kommen die Treppe runter, sie tragen Celtic-Glasgow-Trikots und Nikolausmützen. Ich kämpfe mich über die schmalen Stufen nach oben Richtung Bar. Wodka wäre jetzt gut.
    »Riley!«
    Auf einer roten Couch neben der Theke fläzt der Calabretta. Er hat ein hellblaues SSC-Neapel-Trikot an und verstrahlt damit den ganzen Raum. Bisher definitiv das schönste Hemd des Abends.
    »Ich hätte schwören können, Sie kommen im Pauli-Trikot«, sagt er.
    »Ich mag keine Verkleidungen«, sage ich.
    »Trikots sind keine Verkleidung, Trikots sind eine innere Haltung.«
    Er kuckt mich mitleidig an. Mit genau diesem leicht knurrigen Gesichtsausdruck und genau diesem Trikot sieht er so verdammt italienisch aus. Manchmal vergesse ich glatt, wo der herkommt und dass der nur aus Versehen in Altona gelandet ist. Eigentlich gehört er nach Neapel in eine Carabinieri-Kaserne.
    »Sie hätten wenigstens Ihren Totenkopfpulli anziehen können«, sagt er. »Die Jungs freuen sich doch über so was wie die Schnitzel.«
    »Ich hab nicht dran gedacht«, sage ich. »Hab gerade den Kopf voll.«
    »Weihnachtsvorbereitungen?«, fragt der Calabretta.
    Ich werfe ihm einen Blick zu, der scharf wie eine Rasierklinge ist und hoffentlich ein bisschen weh tut.
    »Entschuldigung«, sagt er, »war’n schlechter Witz.« Er weiß genau, wie sehr ich Weihnachten hasse. Wie ich an Weihnachten leide.
    »Wo drückt denn der Schuh?«
    »Ich brauch erst mal was zu trinken«, sage ich.
    »Bringen Sie mir ein Bier mit?«
    Klar.
    »Ein dünnes Peroni?«, frage ich.
    Autsch. Das war kein scharfer Blick, das war ein böser. Der Calabretta legt auf eine verdrehte Art großen Wert darauf, ein Hamburger Jung zu sein.
    »Schon gut«, sage ich und hebe die Hände.
    Der Typ hinter der Theke hat eine zu große Jeans an, ein zu dünnes T-Shirt und eine zu dicke Wollmütze. Bier-Barkeeper-Uniform. Aber meinen Wodka-Soda mixt er wie ein ganz Großer. Bier mit einer Hand aufmachen kann er auch. Sehr schön. Hier arbeiten dann ja wohl Profis.
    »Also«, sagt der Calabretta, als ich mich neben ihn auf die Couch fallen lasse, »was gibt’s, Chef?«
    Es kommen fünf Leute in Altona-93-Trikots die Treppe hoch, kucken kurz in den Raum, befinden uns für langweilig und gehen weiter in den zweiten Stock. Gleich danach setzen sich drei Typen auf die Couch gegenüber, zwei davon haben sich in HSV-Trikots auf den Kiez getraut, und einer trägt über seinem ziemlich großen Bauch das Erbärmlichste, was man im Moment tragen kann: ein Barcelona-Trikot. Jeder, der nicht selbst regelmäßig Champions League spielt, macht sich mit einem Barcelona-Trikot echt zum Affen. So was kann man nicht einfach so anziehen. Solche zur Schau gestellten Riesenidole machen klein. Ich tu ja auch nicht so, als wäre ich Giovanni Falcone.
    Die Musik wird lauter, es soll bestimmt bald getanzt werden. Spätestens dann mach ich aber einen Abgang.
    »Im Karolinenviertel quält einer Obdachlose«, sage ich.
    »Aha«, sagt der Calabretta und nimmt einen Schluck Bier aus seiner Flasche.
    »Und ganz offensichtlich ziemlich systematisch«, sage ich. »Ich hab da in den letzten zwei Tagen zwei blutende Männer liegen sehen. Einer davon liegt im Krankenhaus im Koma.«
    »So was machen Sie, wenn Sie Urlaub haben?«
    »War Zufall. Ich bin spazieren gegangen.«
    »Aha«, sagt er noch mal. »Und?«
    »Das Kommissariat in der Lerchenstraße kümmert sich.«
    »Na dann«, sagt er. »Ist doch alles prima.«
    »Vielleicht sind die personell ein bisschen überfordert, so kurz vor Weihnachten. Die haben ja fast alle Familie und schieben eh schon permanent Überstunden, wegen der ganzen Einsparungen.«
    »Ach, und ich als alleinstehender Bulle hab ja genug Zeit, oder was?«
    Keine Ahnung, was dem jetzt über die Leber gelaufen ist. Der Calabretta versinkt liebend gern bis zum Hals in Arbeit, soweit ich weiß. Im Moment aber offensichtlich auch in Selbstmitleid.
    »Pardon«, sagt er und poltert mit seiner
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