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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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mehr auf der Treppe höre, dann sehe ich zu, dass ich Land gewinne. Ich bin nicht in der Verfassung, um mich erfolgreich gegen meine größte Versuchung zu wehren.
    Ich bin auch eigentlich nicht in der Verfassung für die Große Freiheit, das bin ich ja wirklich nie, aber weil es so kurz vor Weihnachten ist, hat sich das Ausgehvolk vermutlich ins Kino geschmissen und sich dort aneinandergekuschelt. Und dann kucken sie gezuckerte Filme. Die Rummsdimeile ist so ruhig wie sonst nur an einem Dienstagvormittag.
    *
    Das Fenster am Haus gegenüber, das mit der wehenden Spitzengardine, hat dem Druck des Tages nachgegeben und ist einfach aufgegangen.
    Jetzt schneit’s ins Zimmer.

23. Dezember:
    Gefrorene Glühwürmchen
    A ls ich am Morgen aufwache, liegt eine geschlossene Schneedecke über der Stadt. Kein Kopfsteinpflaster mehr zu sehen, kein Beton, kein Asphalt, nur noch Schnee. Nicht mal Autospuren auf der Straße. Den Gehsteig gegenüber sind ein Mann und ein Hund entlanggegangen. Ich mache das Fenster auf. Ich kann nichts hören. Die Stadt schläft fest unter ihrer weißen Decke.
    *
    Die Kollegen sind genervt von mir. Das kann ich an ihren Gesichtern sehen. Die haben überhaupt keinen Bock drauf, dass ich hier bei denen auf der Wache rumhänge. Ich kann das verstehen. Ich kann leider aber auch nicht aufhören damit. Ich hab’s wirklich versucht. Ich habe versucht, Urlaub zu haben. Aber ich kann doch nicht durch die Stadt spazieren und fröhlich in die Luft kucken, während alten Männern ihre ohnehin schon hoffnungslosen Gesichter poliert werden. Ich will, dass sich da jemand drum kümmert. Und wenn die Kollegen keine Zeit haben – ich hätte. Aber, sagen wir’s mal so: Diplomatie ist nicht mein zweiter Vorname. Ich hab gesagt, dass ich ihnen gerne ein bisschen unter die Arme greifen würde. Nein, falsch, ehrlich bleiben. Ich hab gesagt, dass ich den Fall besser mal übernehmen sollte, in Zusammenarbeit mit den Kollegen vom LKA 41. Weil ja Weihnachten ist und sie alle Familien haben.
    Ist jetzt natürlich ein bisschen schiefgelaufen. Ich hab’s vermasselt. Ich hab ihnen ihre Familien vorgehalten. War nicht so klug. Die Kollegen haben mich angeschaut, als hätte ich einmal kräftig durchs Zimmer gefaucht, und jetzt denken die, ich halte sie für unfähig und nicht engagiert genug. Das tu ich nicht, überhaupt nicht. Ich weiß doch, dass die alle tierisch viele Überstunden schieben. Ich bin nur manchmal bombig ungeschickt.
    Ich stehe noch ein bisschen in der Ecke für die Übeltäter rum und versuche, mein Fettnäpfchen irgendwie wegzulächeln, aber es hilft nichts. Die Kollegen knurren und kucken und rauschen an mir vorbei, und ich sollte wohl besser abhauen. Für mein »Bis die Tage dann, und schöne Weihnachten« interessiert sich nicht mal der Türstopper.
    *
    Nach der Schneewucht von letzter Nacht gibt der Winter heute Ruhe. Es ist ein freundlicher, einigermaßen heller Tag. Der Himmel changiert zwischen Hellblau und Blassrosa, je nachdem, ob gerade die Sonne oder die Wolken Oberwasser haben. Im Moment sind die Wolken stärker, aber das passt schon. Am Passfoto-Automaten beim ehemaligen Schlachthof lehnt ein Mann, den Blick fest auf den Ausgang der U-Bahn-Station Feldstraße gerichtet. Er lehnt immer da, das ist sein Platz. Alle kennen ihn und seinen fast bodenlangen grauen Wollmantel, der ein bisschen aussieht wie ein Wolfspelz. Der Mann ist vielleicht Mitte fünfzig, er ist groß, und seine breiten Schultern lassen ihn stark und stattlich wirken. Aber sein Gesicht verrät, dass er zu viel und zu hart gelitten hat, um im Ernstfall noch stark zu sein. Sein Gesicht sieht aus wie zerknüllt und in die Ecke geworfen. Und auch wenn alle den Mann kennen, weiß keiner, warum er da steht und die U-Bahn nicht aus den Augen lässt. Keiner kann sich vorstellen, dass dieser Mann noch etwas zu erwarten hat vom Leben, am allerwenigsten Besuch. Würden wir beide einen inneren Einsamkeitswettbewerb veranstalten, er würde glatt gegen mich gewinnen. Und das können nicht viele von sich behaupten.
    Ich zünde mir eine Zigarette an und gehe zu ihm rüber.
    »Moin«, sage ich.
    »Hallo«, sagt er, ohne mich anzusehen.
    »Haben Sie kurz Zeit? Ich würde Sie gerne auf einen Kaffee einladen.«
    »Ich kann hier nicht weg«, sagt er.
    »Müssen Sie auch nicht«, sage ich. »Ich hole uns da drüben beim Portugiesen zwei Becher heißen Kaffee, und dann reden wir hier ein paar Minuten.«
    »Mir ist nicht kalt«, sagt er,
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