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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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»danke.«
    »Lieber ein Bier?«
    Er schüttelt den Kopf. »Was wollen Sie von mir? Sind Sie ein Bulle?«
    »Nein«, sage ich, »ich bin keine Polizistin. Ich bin Staatsanwältin, und ich habe eigentlich Urlaub und bin gar nicht im Dienst. Und im Grunde geht’s mich auch nichts an, aber ich habe hier in den letzten Tagen zwei Männer gesehen, die übel zugerichtet worden sind. Einer davon liegt im Koma, und die Leute im Krankenhaus sagen, dass er wahrscheinlich nie wieder aufwacht. Mich macht das fertig. Ich will wissen, was plötzlich im Karolinenviertel los ist. Das war doch immer eine friedliche Ecke hier.«
    So. Was keine Miete zahlt, muss raus.
    »Nix ist los«, sagt der Mann.
    »Ach, kommen Sie«, sage ich und stelle mich genau vor ihn. Ich strecke mich und stelle mich auf die Zehenspitzen, jetzt bin ich fast so groß wie er. Ich versperre ihm die Sicht auf die U-Bahn-Station. Er kuckt durch mich durch.
    »Sie könnten das nächste Opfer sein«, sage ich.
    Für drei Sekunden ändert sich was in seinem Blick, ich glaube, er kuckt mich an, aber ich bin ihm inzwischen so auf die Pelle gerückt, dass ich nicht mehr so gut sehen kann, weil ich so viel rieche. Es riecht nach Mann auf der Straße. Aber es riecht nicht nach Alkohol, was ich erstaunlich finde.
    »Mir kann nichts passieren«, sagt er. »Ich trinke nicht.«
    Ich trete einen Schritt zurück, er hat wieder freie Sicht auf die Station und entspannt sich.
    »Wie meinen Sie das?«
    Die Wolken geben die Wintersonne wieder für ein paar Minuten frei, über sein zerknittertes, müdes Gesicht ergießt sich eine Kelle kaltes Licht.
    »Die Jungs, die auf die Socken kriegen«, sagt er, »das sind die, die immer stockvoll sind.«
    »Kriegen denn viele auf die Socken?«
    »Immer mal wieder einer. Die drei da hinten«, er zeigt mit dem Daumen zu der großen Holztreppe am Ende des Platzes, natürlich ohne den Kopf zu drehen, »lagen alle schon in ihrem fauligen Blut.«
    Auf der Treppe haben sich drei Obdachlose um einen Einweggrill aus dem Supermarkt geschart und halten ihre Hände über die glühenden Kohlen.
    »Fragen Sie die mal. Wenn die vor lauter Suff noch reden können.«
    Dann ist unser Gespräch offensichtlich beendet. Er lässt mich unsichtbar werden, und weil das kein gutes Gefühl ist, sehe ich zu, dass ich wegkomme.
    Dieser Mann in seinem Wolfspelz ist voller Traurigkeit, und gleichzeitig scheint ihm alles außer einer guten Sicht so egal zu sein, da wird mir ganz klebrig auf der Seele. Der muss wirklich durch eine Menge durchgestolpert sein.
    Ich laufe nicht direkt über den Platz, sondern mache einen kleinen Bogen und gehe beim Portugiesen vorbei. Kaufe vier Flaschen Sagres und versuche mein Glück bei den drei Herren vom Grill.
    »Bier?«, frage ich.
    Sie kucken mich finster an. Sie hätten gerne Bier, das kann ich sehen. Den Blick kenne ich von mir selbst.
    Einer der drei, der mit der Fliegermütze, rülpst, dann kuckt er wieder in die Glut. Die anderen beiden machen es nach.
    »Also, ich hab Durst«, sage ich, mache mir eine Flasche an einer anderen auf und fange an zu trinken. Der in der Mitte beugt sich zu dem mit der Fliegermütze und flüstert ihm was zu. Der Fliegermützenmann brummt, wackelt mit dem Kopf erst ein bisschen nach links und dann ein bisschen nach rechts, dann zuckt er mit den Schultern. Könnte so viel heißen wie: Ja, vielleicht.
    Ich nehme einen großen Schluck von meinem dünnen, perligen Portugiesenbier. Mir schmeckt das.
    Der Fliegermützenmann geht einen Schritt zur Seite, damit ich mich mit an den Grill stellen kann. Aha. Jetzt also doch. Wir stehen auf einer braun angemalten Stufe. Die nächste ist weiß, dann kommt eine rote, dann wieder eine weiße, dann ist wieder braun dran, dann ist die Treppe zu Ende. FC-Sankt-Pauli-Stufen. Sehen auf den ersten Blick noch ganz frisch aus, aber wenn man genauer hinkuckt, sieht man, dass sie schon ziemlich abgewohnt sind. Hier wird sich täglich aufgehalten, und zwar nicht zu knapp. Ich reiche den Männern die Bierflaschen, sie machen sie mit ihren Feuerzeugen auf und trinken, ohne miteinander anzustoßen.
    »Prost«, sage ich.
    Knurren.
    »Ich hab gehört, dass hier in letzter Zeit öfter mal jemand verprügelt wird«, sage ich. »Schon was davon mitgekriegt?«
    Rülpsen.
    »Ich hab gehört, dass es euch auch schon erwischt hat.«
    Oberknurren. Noch ein Rülpsen. Und zack, noch dreimal geschluckt, dann sind die Bierflaschen auch schon leer. Der Fliegermützenmann sammelt sie ein und
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