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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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einem Laden stehen. Die Fassade ist in elegantem Dunkelrot gestrichen. Okay: Es ist eine Boutique. Da hängen Kleider im Schaufenster. Ich bin weder der Kleidertyp noch der Boutiquentyp.
    »Ich bin nicht der Boutiquentyp«, sage ich.
    »Da drin gibt es sehr gute Sachen«, sagt der Faller. »Meine Tochter kauft hier immer ein.«
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch, dann gehen wir rein.
    Als wir zehn Minuten später wieder rauskommen, hab ich eine Mütze auf. Eine graue Mütze mit einem dicken Bommel dran. Und, ich betone das jetzt ausdrücklich, ich sehe damit nicht lächerlich aus. Ich sehe aus wie eine Frau aus Sankt Pauli. Ich sehe ehrlich gesagt super aus mit meiner neuen Mütze. Und sauwarm ist sie auch.
    »Viel besser«, sagt der Faller, der vielleicht Stylist werden sollte. Er mustert mich noch mal kurz, als wir uns langsam wieder in Bewegung setzen.
    Das Schönste an der Mütze ist wahrscheinlich, dass der Faller sie mir gekauft hat.
    »Und jetzt los«, sage ich. »Wir sind ja nicht zum Einkaufen hier, sondern zum Arbeiten. Also, Sie zumindest.«
    Der Faller schlägt die Hacken zusammen und salutiert. »Yes, Ma’am!«
    »Da vorne kommen ein paar Bars und Cafés«, sage ich, »die klappern wir alle ab und machen Sie ein bisschen bekannt.«
    Der Faller macht das super mit dem Bekanntmachen. Er verhält sich wie ein Gast und nicht wie ein Polizist. Er setzt sich an die Theke, bestellt was zu trinken, sieht sich um und ist freundlich. So wie er es früher gemacht hat, wenn er auf dem Kiez ermittelt hat. Erst mal nur die Nase reinhalten. Nicht gleich mit großem Geschiss antanzen. Beim Bezahlen erzählt er dann, wer er ist und was er macht, und sagt, dass er ab heute öfter vorbeischauen wird. Wenn einer der Gastronomen irritiert ist, zeigt der Faller Gespür und fügt hinzu: Falls Ihnen das recht ist.
    So hatten wir es eigentlich auch in dem französischen Café mit der gestreiften Markise vor, aber dazu kommen wir nicht mehr. Ein paar Meter vor dem Café, links auf einer Mischung aus unbebautem Grundstück, inoffiziellem Fahrradhof und struppigem Parkplatz, kauert ein Mann. Halb sitzt, halb liegt er, mit dem Rücken an eine Mauer gedrückt. Er stöhnt ein bisschen, wir hätten es gar nicht hören sollen, aber der Faller und ich reden ja nicht viel, wir haben unsere ganz eigene, liebevolle Stille miteinander, und da rutscht einem schon mal was ins Ohr. Der Faller ist zuerst bei dem Mann. Als ich in die Hocke gehe, versucht er leise, mit ihm zu reden.
    »Brauchen Sie Hilfe? Hallo? Können wir Ihnen helfen?«
    Das Gesicht des Mannes sieht nicht viel besser aus als das von dem, den ich gestern gefunden habe. Aber er ist bei Bewusstsein. Und er hat seine Schuhe noch an.
    »Verpisst euch«, sagt er und hustet so laut und gewaltig, dass ich kurz aufstehen muss, sonst hätte mich dieser Husten umgepustet.
    »Wir möchten Ihnen helfen«, sage ich. »Sie brauchen einen Arzt.«
    »Nix da«, sagt er, »ich brauch gar nix. Und jetzt schert euch zum Teufel.«
    »Wer hat Sie denn so zugerichtet?«, fragt der Faller, weiter in der Hocke. »Und jetzt sagen Sie bitte nicht, dass Sie hingefallen sind.«
    »Seid ihr Bullen, oder was?«
    So was Ähnliches.
    »Nein«, sagt der Faller, und das geht ihm erstaunlich locker von der Zunge. »Ist auch egal, wer oder was wir sind. Sie müssen zu einem Arzt.«
    Der Mann greift umständlich unter seinen Mantel, holt eine fast leere Rumflasche raus, fasst sie am Hals und hält sie drohend in die Luft.
    »Wollt ihr die an eure verdammten Schädel kriegen?«
    »Nein«, sage ich.
    »Hören Sie auf mit dem Mist«, sagt der Faller und steht auf. »Wenn Sie in dem Zustand hier liegen bleiben, erfrieren Sie heute Nacht. Der große Frost kommt. Ihr Jungs wisst doch, was das heißt.«
    »Ich geh gleich nach Hause«, sagt der Mann. Die Flasche hält er immer noch in der Hand, aber er lässt den Arm jetzt langsam sinken, das sieht alles nicht mehr ganz so aggressiv aus.
    »Nach Hause«, sage ich, »klar.«
    Er sieht mich finster an, und in diesem Moment bekommt sein dunkles, blutiges Gesicht eine Würde, die ich nur von Menschen kenne, die es ernst meinen.
    »Lasst mich in Ruhe«, sagt er. »Bitte.«
    Ich habe das Gefühl, ihn zu quälen, und das ist ein furchtbares Gefühl. Dem Faller geht es offensichtlich genauso, denn er sagt: »Gehen wir, Chastity.«
    Als wir um die Ecke sind, haben wir beide keine Lust mehr, weiter Bars abzuklappern.
    »Vielleicht sollten wir ihm eine Decke besorgen«, sage ich. »Ich
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