Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
Vom Netzwerk:
weitermachte.
    »Scheiß drauf«, flüsterte er. »Nachher.«
    Seine rechte Hand hakte meinen BH auf und schob sich warm auf meine Brust. Ich legte meine Hände um seinen Hinterkopf und zog ihn näher an mich heran, als ich etwas hörte. Im Haus klappte eine Tür. Leander hielt inne, er hatte es ebenfalls gehört. Wir sahen uns an. Ich zog eine Augenbraue hoch.
    »Leander? Willst du ein bisschen Quarkkuchen?«
    Seine Oma, die mit im Haus wohnte. Wir hielten mucksmäuschenstill, klammerten uns halb ausgezogen aneinander, versuchten, nicht loszuprusten.
    »Leander? Bist du oben? Ist frisch gebacken!« Schritte klackerten. Erst unten im Korridor, dann auf der Treppe.
    »Die kommt hoch.« Mit einem Satz richtete ich mich auf und zog meinen BH wieder an.
    Leander grinste. »Möchtest du denn keinen Quarkkuchen, meine süße Lena?«
    »Hör auf!« Ich schlug spielerisch mit meinem T-Shirt nach ihm. »Das ist doch peinlich, wenn deine Oma hier reinplatzt. Wieso kommt die überhaupt hoch? Ich denke, die hat es mit dem Knie?«
    Leander zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war es auch der Ellenbogen, ich weiß nicht mehr genau.« Er stand auf. »Wir kommen gleich runter«, rief er laut. Zu spät.
    Die Tür ging just in dem Moment auf, als ich mein T-Shirt gerade wieder angezogen hatte.
    »Ach, die Lena«, sagte seine Oma bei meinem Anblick. Sie schnaufte leicht. Was musste sie auch so die Treppe hochhetzen?
    »Na, da will ich euch nicht stören.« Sie lächelte entschuldigend. »Ich dachte nur, der Leander liegt wieder mal den ganzen Nachmittag im Bett rum.«
    Ich wandte den Blick ab, um nicht laut loszukichern, und blieb dabei an einem Poster hängen. Leander und seine Band – The Gargoyles . Mit düsteren Mienen standen sie vor etwas, das wie der apokalyptische Rest einer Großstadt aussah, dabei war es nur die Industrieanlage hinten am Fluss. Das Plakat kündigte ihr erstes richtig großes Konzert in zwei Wochen an. Einer seiner Kumpel hatte das Foto geschossen, ich war auch dabei gewesen. Wenn man ganz deutlich hinsah, konnte man auf dem Bild meinen Schatten erkennen, aber natürlich stand ich nicht mit bei der Band. Leander spielte Bassgitarre und wirkte auf dem Poster dunkel und unnahbar, dabei war er das gar nicht. Das wusste ich schließlicham besten, immerhin war ich seit sieben Monaten seine Freundin. Er war witzig und zärtlich und intelligent, er liebte seine Katze und seine kleine Schwester, er komponierte die Songs für die Band und schrieb wunderschöne Texte dazu, er war nicht eitel, obwohl er umwerfend gut aussah, wir konnten über dieselben Dinge lachen und es war seither kein Tag vergangen, an dem ich nicht vor Stolz bald geplatzt war, dass er ausgerechnet mich zur Freundin haben wollte.
    »Unten ist der Kuchen, nehmt euch ruhig.« Leanders Oma riss mich aus meinen Gedanken. »Selbst gebacken schmeckt doch immer noch am besten.«
    Uns blieb gar nichts anderes übrig, als ihr zu folgen und uns unten in der Küche gehorsam ein Stück Quarkkuchen reinzustopfen. Danach wieder hochzugehen und da weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten, war irgendwie nicht drin. Noch weniger Lust verspürte ich allerdings auf Mathe. Leanders Handy kündigte mit einem kurzen Schnurren eine SMS an.
    Er warf einen Blick darauf. »Moritz und Sarah sind vorn am Park. Mit noch ein paar anderen. Ich hab noch eine Stunde vor der Probe, wollen wir hin?«
    Ich sah aus dem Fenster. Obwohl es erst Anfang April war, zeigte das Wetter sich seit ein paar Tagen von seiner besten Seite. Die Sonne strahlte und lockte alle möglichen Blumen und Knospen heraus, von denen man bislang geglaubt hatte, sie wären auf Nimmerwiedersehen verschollen. Heute in derSchule hatten ein paar Mädchen bereits Shorts und Sonnenbrillen getragen, als wären sie am Strand von Ibiza.
    »Klar«, sagte ich daher. »Gehen wir vor zum Park.«
    Später habe ich oft überlegt, was passiert wäre, wenn ich mit Leander an diesem Tag einfach zu Hause geblieben wäre. Man nennt das den Schmetterlingseffekt – eine winzige Kleinigkeit entscheiden und damit das ganze Leben in eine andere Spur umleiten. In eine bessere. Oder eine abenteuerlichere.
    Oder, wie in meinem Fall, direkt in die Hölle.
    Wir überquerten die Hauptstraße und winkten dabei Moritz und Sarah zu, die schon zusammen mit Hendrik und Gregor auf der Bank bei den Tischtennisplatten saßen. In letzter Zeit hingen Moritz und Sarah fast jeden Tag dort rum und warteten auf ein paar andere, fast, als wären sie auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher