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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
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dass ich nicht ganz ehrlich zu dir war. Aber sie kommt gleich und ich hab ihr versprochen, es dir heute zu sagen.«
    Die beiden hatten über mich geredet. Gelacht. Was hatten sie sonst noch zusammen … Oh Gott. Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Das kannst du doch nicht einfach so machen!«
    »Es ist halt so. Ich hab mich total in Nessa verknallt.« Er streckte die Hand aus, als wolle er mir onkelhaft durch die Haare wühlen, hielt sich aber in letzter Sekunde noch zurück. »Wir können doch trotzdem Freunde bleiben.«
    Hatte er eben wirklich diesen ausgelutschten, unmöglichen, dämlichen Satz von sich gegeben?
    »Ich muss jetzt rein«, sagte er, als ich schwieg. Ich brachte keinen Ton heraus.
    »Wir können ja noch mal in Ruhe reden, ich wollte das jetzt nur loswerden, damit du heute Abend Bescheid weißt.« Und damit drehte Leander, meinegroße Liebe, sich einfach um und ließ mich stehen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da draußen an der Säule hockte. Leute kamen und drängten sich durch die Tür, niemand rief mich, niemand schien mich zu vermissen. Ich würgte meine Tränen hinunter. Meine Tasche war noch im Klub. Inzwischen hatte die Band angefangen zu spielen. Ich ging rein, schob mich durch die Leute, sah Leander im Scheinwerferlicht, hörte, wie Chris, der Sänger, die Zeilen von Weeks sang, dem Song, den Leander geschrieben hatte. Für mich, damals vor sieben Monaten.

    And after months of loneliness
    I saw you
    And after weeks of sweet desire
    I asked you
    And after days of gentle tease
    I kissed you
    And after hours of being with you
    I loved you
    Ich hörte die Leute klatschen, als das Lied zu Ende war, sah, wie Leanders Augen durchs Publikum glitten, und einen wilden verzweifelten Moment lang dachte ich wirklich, dass er mich suchte. Dass es ihm leidtat, dass er sich wieder darauf besonnen hatte, wer wirklich zu ihm gehörte. Doch dann sah er jemanden in der ersten Reihe an und ich wusste,dass sie dort stand. Er zwinkerte ihr zu, dann schlug er ein paar Takte an, die Band begann ein neues Lied.
    Ich starrte in das grelle Zucken der bunten Lichter, bis mir die Augen tränten. Rot für Schmerz. Blau für Traurigkeit. Und gleißendes Weiß für meinen Hass auf Vanessa.

5
Juni
    Das Auto fährt langsam, schleicht richtig durch die Straßen. Die beiden haben getauscht, jetzt fährt der andere. Sie murmeln da vorn so leise miteinander, dass ich sie kaum verstehe. Nur einzelne Wortfetzen dringen an mein Ohr. Von Angie ist da die Rede, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass es nicht um ein Mädchen geht. Und von Geld, von einem Typen namens Ras und von Leuten, die irgendetwas bereuen werden. Meinen sie mich damit?
    In der Schule hatten wir mal einen Kurs in Selbstverteidigung. Man hat uns ein paar Tritte und Griffe gezeigt und uns eingebläut, auf jeden Fall ganz laut »Nein« oder »Hau ab« zu schreien, wenn man angegriffen wird. Das würde so manchen Angreifer schon in die Flucht schlagen. Was man tun soll, wenn man aus eigener Blödheit zu einem Typen ins Auto gestiegen ist, weil Leander das angeblich so gewollt hat, und wenn man dann feststellt, dass man auf den ältesten Trick der Welt reingefallen ist, das haben sie uns nicht gesagt. Wahrscheinlich haben sie nicht gedacht, dass jemand so dumm sein könnte.
    Ich blicke aus dem Fenster. Wir fahren langsamgenug, dass ich mich bemerkbar machen kann, wenn ich irgendwen sehe. Ich könnte ein Zeichen geben, dass jemand das Nummernschild aufschreibt, die Polizei anruft, was auch immer. Einmal müssen wir ja mal an eine Ampel kommen.
    Da! Wir bleiben an einer Kreuzung stehen und neben uns hält ein Auto an, ein Prius. Leute, die Prius fahren, sind aufmerksam und umweltbewusst, ich schreie innerlich vor Erleichterung. Vorsichtig sehe ich hinüber. Am Steuer sitzt eine Frau. Dreh dich um, flehe ich sie stumm an. Dreh dich um! Sie dreht sich nicht um. Wir fahren los, wir sind schneller als sie, zum Glück. Ich habe ein paar Sekunden, in denen sie hinter uns ist, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt! Ich presse mein Gesicht an die Scheibe, mein Mund formt ein lautloses »Hilfe«, ich winke, ich deute mit der linken Hand nach hinten auf unser Nummernschild, ich halte meine Hand wie einen Telefonhörer ans Ohr, um ihr zu zeigen, dass sie die Polizei anrufen soll. Endlich nimmt sie mich wahr. Sie ist ungefähr siebzig. Sie lacht und winkt mir freundlich zurück.
    Der Albino dreht sich zu mir um, seine Augen hinter den starren schwarzen Scheiben verborgen.
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