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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
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»Hilfe!«
    Ben: »Ich meine doch nur. Einen Kuss? Oder wenigstens gehst du mal mit mir ins Kino oder so?«
    Vanessa flucht und brüllt von unten. »Jetzt mach endlich!«
    Ben: »Okay, gib mir deine Hand.«
    Er zieht sie offenbar hoch, denn man kann ihn schnaufen hören.
    Vanessa: »Au. Mann, pass auf.« Sie schluchzt. »Du brichst mir doch noch das Handgelenk. Mensch, warum musst ausgerechnet du Trottel hier vorbeikommen?«
    Ben: »Weißt du was? Ich bin dir für nichts gut genug, aber für dich im Dreck rumliegen und mir den Arm rauskugeln lassen darf ich, oder was? Vergiss es. Dann warte halt auf jemand Besseres.«
    Er lässt sie offenbar los, Vanessa schreit, Zweige knacken, Blätter rascheln, Steine kullern, dann erklingt ein dumpfer Aufschlag.
    Ben atmet heftig: »Shit. Oh, shit. Oh, shit.« Dann ein Keuchen. Ein Kichern. »Du hättest meine Prinzessin sein können«, flüstert er.
    Das Video hört auf.
    Mir ist eiskalt. Die Schnitte in meinen Armen jucken, ich lasse das Handy fallen wie glühende Kohlen. Das Kind schreit immer noch, aber noch lauterschreit die Mutter, die Bens Fahrrad jetzt einen Tritt versetzt, woraufhin er sie an den Arm boxt. »Nun halt doch mal einer diesen Kerl fest«, brüllt jemand. »Wir sind doch hier nicht im Dschungel!«
    Ben hat sich kein einziges Mal nach mir umgedreht. Ich stehe auf, nehme sein Handy und gehe betont langsam weg. Über die Schulter sehe ich nach hinten, sie streiten immer noch. Da vorn steht ein Taxi. Ich habe noch genau zehn Euro, die müssen reichen. Wie ein Zombie bewege ich mich vorwärts in Richtung Taxi, der Fahrer hält mir die Tür auf, ich steige ein und bemühe mich, nicht zurückzublicken.
    »Zur Polizeidirektion bitte«, sage ich.
    Der Taxifahrer startet den Wagen. »Wollen wohl einen Verbrecher anzeigen, was?« Er lacht.
    Ich gebe ein Geräusch von mir, das man mit viel gutem Willen als Lachen bezeichnen kann. »Genau.«
    »Na, komm schon«, murmelt der Fahrer. Er meint das Auto vor uns, das Schritttempo fährt, um etwas von dem Menschenauflauf mitzubekommen. Dann fahren wir ebenfalls direkt daran vorbei. Bens Gesicht ist rot und wütend, ich sehe, wie er sich umdreht und zu unserem Tisch guckt und wie sich Verwunderung in seinem Gesicht breitmacht. Dann sind wir weg.
    Ich zittere vor Anspannung, meine klammen Finger halten das Handy so fest, dass ich es bald zerquetsche.
    »Bisschen Musik?«, fragt der Taxifahrer, wartet meine Antwort aber nicht ab und schaltet sein Radio ein. Die muntere Stimme des Moderators erklingt.
    »… das war Bonnie Tyler für die älteren Semester unter uns, haha. Für die jungen Leute haben wir jetzt was ganz Brandneues – die Gargoyles , eine Top-Band aus unserer Umgebung. Ich prophezeie jetzt mal – von denen werden wir noch 'ne Menge hören!«
    Und dann kommt es. Mein Lied.
    And after months of loneliness, I saw you …
    Ich war noch nie in meinem Leben so allein. Aber ich habe mich auch noch nie so stark gefühlt.
    »Klingt gar nicht mal schlecht«, brummelt der Taxifahrer und lenkt das behäbige Auto durch die sommerlichen Straßen. »Wenn die Bands erst mal im Radio sind, dann werden sie ganz schnell berühmt. So läuft es.«
    Ich nicke.
    »Die haben es schon leicht, die jungen Leute heutzutage«, macht er weiter. »Denen steht die ganze Welt offen. Es gibt Internet und so. Hatten wir damals alles nicht. Durften wir alles nicht. Ich wäre ja auch gern Musiker geworden. Aber ich musste in die Textilfabrik. Und was hat es mir gebracht? Nichts. Jetzt ist das Ding zu und ich fahre Taxi.« Er winkt ab. »Aber die jungen Leute heute, die haben ein herrliches Leben. Alles so einfach für die. Kann man nicht anders sagen.«
    »Ja«, sage ich, während wir auf dem Parkplatz derPolizeidirektion vorfahren und mir eine winzige, allerletzte Träne die Wange hinunterläuft. Ich wische sie weg und krame nach dem Geld in meiner Tasche. »Da haben Sie recht«, stimme ich ihm zu. »Wir jungen Leute heutzutage – wir haben wirklich ein herrliches Leben.«

Informationen zum Buch
    FÜR IMMER MEIN
    Seit Monaten ist Lena schon mit Leander zusammen – bis er ihr von der bildhübschen Vanessa ausgespannt wird. Lena tut alles, um ihren Freund zurückzuerobern, doch Leander hat sich längst entschieden. Voller Enttäuschung beginnt sie, Vanessa schlechtzumachen und ihr die Pest an den Hals zu wünschen. Als Vanessa nach einer Party tot aufgefunden wird, fällt der Verdacht als Erstes auf Lena – und die hat keinerlei Erinnerung an jene
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