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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
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den Typen geschnappt haben, der Vanessa auf dem Gewissen hat.«
    Ich nicke lahm. Setz dich bloß nicht her, denke ich, aber da kommt er schon an. Ich seufze. Eigentlich tut er mir ja fast leid. Und sollte ich, nach allem, was geschehen ist, nicht über den Dingen stehen?
    »Darf ich dich auf ein Getränk einladen?«, fragt er. »Ich hab heute Geburtstag.« Er deutet glücklich auf das Fahrrad.
    »Lass mal«, erwidere ich. »Ich gehe gleich.«
    Er hebt beschwichtigend die Hände. »Kein Angst, keine Angst. Ich weiß schon. Ich komm dir nicht zu nahe. Das Foto hab ich auch gelöscht, ich schwöre es dir. Hier!« Er hält mir sein Handy hin und ich fühle mich verpflichtet, es entgegenzunehmen, obwohl er natürlich das Foto rein theoretisch auch zu Hause auf der Festplatte haben könnte. Das weiß ich schließlich am besten.
    »Wahnsinn, das mit Vanessa«, sagt er. »Und alles wegen eines Videos. Weißt du da Näheres?«
    Ich betrachte seine Fotos. Nichts. Da sind nur ein paar. Von einem Kanarienvogel. Den hat er wohl auch zum Geburtstag bekommen.
    »Keine Ahnung.« Ich stehe auf. In diesem Moment scheppert es laut. Ein Kleinkind ist mit seinem Dreirad gegen das angelehnte Fahrrad gesaust und hat es zu Fall gebracht. Das Kind heult, es ist unter dem Rad festgeklemmt.
    »Das glaub ich jetzt nicht.« Ben springt auf. »Spinnst du, du Nase?« Er zerrt an dem Rad, aber es löst sich nicht, das Kind brüllt wie am Spieß.
    »Ja, sind Sie denn noch zu retten, was machen Siedenn da?«, schreit eine Frau. Sie stürzt auf das brüllende Kind zu, das Dreirad hat sich irgendwie im Fahrrad verhakelt. »Mein armer Schatz!«
    Im Nu bildet sich eine Menschentraube, diskutierend und schreiend und lärmend. Ich halte immer noch Bens Telefon in der Hand und will es gerade auf den Tisch legen und mich davonschleichen, als mir etwas auffällt. Ben hat ebenfalls die App VS darauf. Darin kann man auch Fotos speichern, die keiner sehen soll. Ich weiß nicht genau, was mich antreibt, aber ich lege das Handy nicht auf den Tisch zurück. Die meisten Leute nehmen ihren Geburtstag als Pin.
    Heute ist der 24. Juli und ohne nachzudenken tippe ich 2407 ein. Die App öffnet sich. Es sind Fotos darin. Mein Foto. Es hat einen Namen. Meine Punk-Prinzessin . Es ist nicht das einzige Foto. Da gibt es noch viele, alle von irgendwelchen Mädchen, die eindeutig schlafen oder betrunken oder sonst wie weggetreten sind. Mein Schattenengel. Meine Waldelfe. Meine Ballerina . Letzteres ist ein Foto von Vanessa, sie ist darauf total high. Mein ungläubiger Blick flattert von den Fotos hinüber zu dem lärmenden Pulk. Was für ein Widerling. Ich lösche mein Bild. Ich lösche alle Bilder. Da ist auch noch ein Video. Man sieht einen Fuß und Gras in der Nacht, und als ich auf Play drücke, wird mir schlecht. Man hört leise Bens Stimme, er läuft keuchend durch einen Wald und redet mit sich selbst. »Gibt es hier Hexen? Wird das ein zweites Blair Witch Project ?« Er kichert, es klingtbetrunken und ein bisschen irre. Ich erkenne jetzt, wo er ist, es sind die Hexenfelsen. Im Hintergrund hört man Johlen und Schreien und Musik. Das Bild wackelt, er stolpert offensichtlich, ein Zweig fliegt auf die Kamera zu. »Au, shit«, flucht Ben leise. »Mann ey, Scheißgestrüpp.« Da ist ihm offenbar der Zweig ins Gesicht geklatscht. Ben taumelt zum Weg, das Bild hüpft hoch und runter. Ich halte den Atem an. Das ist die Stelle, an der Vanessa abgestürzt ist. »Irgendwelche Hexen hier draußen?«, grölt Ben. Dann hört er etwas. Ich höre es auch. Jemand ruft. Ben sieht offenbar den Hang hinunter, er hält sich an einem Busch fest, die andere Hand umkrampft das Handy, ein Teil des Bildes ist jetzt durch seine Finger abgedunkelt.
    »Hilf mir doch!«
    Es ist Vanessas Stimme.
    »Oh, Scheiße, was machst du denn da unten? Klar, Mann!« Ben klingt eifrig. Er legt das Handy auf den Boden, von jetzt an hört man nur noch Stimmen, die Kamera ist auf den bewegungslosen Mond gerichtet.
    Vanessa: »Du bist das? Jetzt hilf mir doch, verdammt noch mal. Mann, tut das weh!« Sie schluchzt.
    Ben, irritiert: »Ey, kannst du auch mal bitte sagen?«
    Vanessa schnappt ihn an: »Bitte, du Arsch. Jetzt hilf mir, ich bin verletzt. Mein Fuß ist …« Der Rest ist unverständlich.
    Ben: »Gefällt mir. Du da unten und ich hier oben.Mal was anderes. Wenn ich dir hochhelfe, was bekomme ich dafür?«
    Vanessa: »Sag mal, hast du einen an der Klatsche? Was soll der Scheiß?« Sie ruft laut:
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