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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
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flüchtiger Kuss im Gang der Schule, mal da eine nichtssagende SMS. Und als wir uns vorgestern, am Sonntagnachmittag, endlich getroffen hatten, war er seltsam ruhelos gewesen und hatte mich ins Kino geschleppt. Ich konnte mich nicht mal mehr an den belanglosen Film erinnern. Fast kames mir vor, als ob er froh war, dort nicht mit mir reden zu müssen. Brav hatte er mich hinterher nach Hause geschafft, dabei wäre ich gern noch mit zu ihm gekommen, aber er hatte angeblich so schrecklich viel zu tun.
    »Du spinnst«, meinte er, als ich ihn auf den Kopf zu fragte, ob er sich mit Vanessa wegen eines Anwaltes getroffen hatte. »Wer erzählt denn so einen Mist?«
    »Vanessa«, rutschte es mir heraus.
    »Ich brauche keinen Anwalt. Meine Eltern regeln das mit der Versicherung.«
    »Warum hast du mich dann an dem Tag nicht zurückgerufen?«
    »Ich hatte mein Handy nicht mit zur Probe genommen, ich war noch ganz durcheinander, kapierst du das denn nicht?«
    »Warum bist du dann so komisch in letzter Zeit?«
    »Ich bin doch nicht komisch, Lena. Meine Eltern stressen rum wegen meiner Noten, ich muss echt mal ranklotzen. Und dann ist übermorgen auch noch das Konzert, ich weiß echt nicht, wo mir der Kopf steht.«
    »Du hörst dich an wie ein gestresster Manager«, versuchte ich einen lahmen Scherz.
    »Und du wie eine alte Tante.« Damit ging er weg und ließ mich vor unserer Haustür stehen. Ich wollte ihm hinterherrennen, ihn packen und schütteln und anschreien, was das alles sollte, ich wollte ihm um den Hals fallen und meine Nase in der Kapuze seinesSweatshirts vergraben. Ich wollte, dass er sich wenigstens umdrehte. Aber er ging einfach weiter. Später kam nur noch eine SMS: Sorry, hab es nicht so gemeint.
    Dass er es wirklich nicht so gemeint hatte, darauf hoffte ich jetzt, als mein Blick durch den Saal wanderte. Neben mir saßen Tine sowie Nadine und Julia, meine anderen Freundinnen. Nadine schielte heimlich in ihr Handy und versteckte ihr Gesicht unter dem schwarzen Wust ihrer Locken. Julia kaute irgendetwas, und als sie meinen Blick bemerkte, hielt sie mir komplizenhaft ein Stück Schokolade hin. Ich schüttelte dankend den Kopf. Mir war nicht nach Schokolade. Und Julia hätte ehrlich gesagt auch besser daran getan, nicht immer so viel zu naschen. Sie wurde immer pummliger und letztens hatte sie sich auch noch die dünnen Haare vorn zu einem Pony schneiden lassen, der ihr Gesicht jetzt nahezu kreisrund aussehen ließ. Aber es ging mich nichts an. Außerdem suchte ich Leander.
    Dort hinten war er, in der vorletzten Reihe, neben Gregor. Einer von beiden hatte offenbar gerade einen Witz über den phlegmatischen Typen da vorn gerissen, denn sie lachten beide lautlos. Dann streckte Leander sich ein bisschen und sah sich suchend um. Na endlich. Sein Blick blieb hängen, saugte sich regelrecht fest. Ich kannte diese Art von Blick. Es war genau der Blick, mit dem er mich vor sieben Monaten immer wieder verfolgt hatte – auf dem Schulhof, in der Pause, in der Mensa, beimHerbstfest. Auch hier in dieser Aula, bei der Schuljahreseröffnung.
    Nur, dass der Blick jetzt nicht mehr mir galt. In dem Moment, als Vanessa in der Reihe vor mir mit einem Lächeln ihren Kopf zur Seite drehte, wehte ein Hauch Karamell zu mir hinüber. Süßlich. Einschmeichelnd. Erstickend. In meinem Kopf fing es an zu rauschen, bis ich merkte, dass es Beifall war, der kurz aufwaberte und dann wieder abklang. Der Typ da vorn war fertig, dafür stand jetzt Vanessa auf. Mit einem gehauchten »Sorry« und »Danke« glitt sie durch ihre Reihe und ging nach vorn auf die kleine Bühne. Wie ein Profi wartete sie, bis alles total still war, etwas, das der Software-Heini die ganze Zeit über nicht geschafft hatte.
    »Im Namen der Schüler möchte ich einen ganz herzlichen Dank an unsere Gastreferenten aussprechen, diese tollen Vorträge werden sicher dem einen oder anderen bei der Berufswahl behilflich sein und …«
    Dir doch nicht, dachte ich. Papa hat dir doch sowieso schon zehn verschiedene Studienplätze besorgt. Das Rauschen setzte wieder ein, diesmal war es nur in meinem Kopf. Um mich herum lachten alle, Vanessa legte keck den Kopf schief, offenbar hatte ich einen Witz verpasst. Sie überreichte dem verlegen dastehenden Software-Mann einen Strauß Nelken, die bereits ohnmächtig in der Zellophanpackung hingen, aber der Typ sah ihr ohnehin nur auf den Mund und in den Ausschnitt.
    »Und dann wollte ich euch noch sagen – wer heute noch nichts vorhat –, denkt
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