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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer
Autoren: Wolf S. Dietrich
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schüttelte den Kopf. „Nein. Geh nur, Marie. Aber melde dich sofort, wenn du einen von ihnen siehst.“

    *

    Notgedrungen hatte er ein Bier mitgetrunken, während Bohm bereits das vierte Glas hinunterstürzte. Obwohl Ostendorff sich zurückgehalten hatte, spürte er zunehmend den unvermeidlichen Drang, sich zu erleichtern. Bohm dagegen schien über eine hinreichend trainierte Blase zu verfügen.
    „Ich gehe jetzt pinkeln“, sagte er. „Und dann brechen wir auf.“
    Bohm nickte und leerte sein Glas. „In Ordnung“, kicherte er. „Hauptsache, du kannst ... Sie können noch ... fahren.“
    Als Ostendorff von seinem Gang zurückkehrte, war Bohm verschwunden.

    *

    Während Marie den menschenleeren staubigen Platz zwischen Altem und Neuem Fischereihafen überquerte, glaubte sie in der Dunkelheit eine Gestalt zu erkennen, die in Richtung Hafenkai wankte. Sie beschleunigte ihre Schritte und kniff die Augenlider zusammen. Kurzzeitig entfernte sich der Mann in Richtung Heringskai, dann tauchte er wieder auf und setzte seinen Weg am Niedersachsenkai entlang fort. Dort verschwand er für einen Augenblick in den Schatten der ankernden Schiffe, trat schwankend wieder daraus hervor, drehte sich einmal um sich selbst, steuerte die Hafenkante an und stoppte.
    Daniel Bohm?
    Marie verlangsamte ihren Schritt, denn der Mann begann an seinem Hosenlatz zu nesteln. Kurz darauf blitzte ein Wasserstrahl auf, der im Bogen ins Hafenbecken schoss. Plötzlich löste sich aus dem Schatten der Entladebaracken eine weitere Gestalt und hob langsam einen Arm. In der Silhouette seiner Hand erkannte sie eine Pistole, die auf den Rücken des pinkelnden Mannes zielte.
    Marie schrie auf und spurtete los. Bohm drehte sich unsicher um, sein Strahl plätscherte auf den Asphalt. Während er ihr noch verwundert entgegenstarrte, vollführte sein Oberkörper eine Drehung in die Gegenrichtung, er geriet aus dem Gleichgewicht, ruderte mit einem Arm, um sich zu fangen, kippte zur Seite und verschwand hinter der Hafenkante. Im Wasser zwischen den Schiffen platschte es.
    Während sie rannte, drückte Marie Röverkamps Kurzwahl am Handy. „Konrad!“, rief sie ins Mikrofon, „ich glaube, Bohm ist ins Hafenbecken gestürzt. Am Niedersachsenkai. Ruf die Rettung an! Ich sehe, was ich machen kann.“ Aber sie durfte den Mann mit der Waffe nicht aus den Augen verlieren. Während sie sich der Stelle näherte, an der Bohm verschwunden war, hielt sie nach ihm Ausschau. Doch er war wie vom Erdboden verschluckt.

    *

    Das Herz schlug Ostendorff bis zum Hals und die Waffe brannte wie glühendes Eisen in seiner Hand. Er lief im Schatten der Hafenbaracken am Niedersachsenkai entlang. Irgendwann fand er einen Durchgang zur Straße. Erleichtert mischte er sich unter die Menschen, die aus den Lokalen strömten oder auf der Fischmeile promenierten.
    Hoffentlich treffe ich jetzt keinen Bekannten. Er hätte Mühe gehabt, jetzt ein normales Gespräch zu führen. Obwohl er nicht mehr nach Atem ringen musste, raste sein Puls noch immer. Es war wohl doch nicht so einfach, einen Menschen zu erschießen. Er fragte sich, ob er wirklich hätte abdrücken können.
    In einem weiten Bogen umrundete er den alten Fischereihafen, um zu seinem Wagen zurückzukehren. Aus der Ferne sah er Blaulichter aufblitzen. Die Kriminalkommissarin, die so unvermutet aufgetaucht war, hatte offenbar ihre Kollegen und den Rettungsdienst angefordert. Die Vorstellung, dass sich jemand um Bohm kümmern würde, löste ein Gefühl der Erleichterung in ihm aus. Gleichzeitig beschlich ihn der Gedanke, versagt zu haben.
    Als Ostendorff seinen Wagen erreicht hatte, sah er sich um. Weit und breit gab es niemanden, der sich für ihn interessierte. Er drückte die Fernbedienung für die Zentralverriegelung. Das vertraute Geräusch blieb aus. Achselzuckend öffnete er die Fahrertür mit dem Schlüssel und ließ sich auf den Sitz fallen.
    Für einige Sekunden verharrte er unschlüssig. Dann startete er den Motor und ließ den Wagen anrollen. Auf der Höhe von Westerwisch spürte er plötzlich eine Bewegung hinter sich. „Wir fahren weiter in Richtung Nordholz“, sagte eine dunkle Stimme. Gleichzeitig bohrte sich ein kühles Stück Metall in seinen Nacken.

    *

    Die Zeiger der Uhr im Büro standen auf kurz vor Mitternacht, als Marie Janssen und Konrad Röverkamp sich an ihren Schreibtischen niederließen. Kriminaloberrat Christiansen war ihnen gefolgt und hockte sich auf einen der Besucherstühle.
    Daniel Bohm war aus
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